Ein Galgo im Nebel
Ich könnte etwa so anfangen: „ein Dorf im Nebel, und plötzlich ein Galgo“. Aber so ganz
stimmt das nicht.
Also nochmal: Die Straßen eines Dorfes in Kastilien im Nebel, und ganz plötzlich taucht ein Galgo auf.
Aber auch das stimmt eigentlich nicht. Die Gassen lagen nicht im Nebel. Die Gassen umfingen den Nebel und leiteten ihn. Der Nebel bewegte sich durch die Straßen wie der undefinierbare, kompakte Strom einer großen Menge, weil er von ihnen eingeschlossen wurde. Einer schweigenden Menge. Einer tauben Menge. Begrenzt durch die Backsteinbauten wie durch eine Steilküste. Im Hintergrund – mehr oder weniger im Hintergrund des Nebels – eine steinerne Klippe mit einem Wappen. Und diese feuchte Kälte, wie in einer Wolke, alles sieht gleich aus.
Der Galgo. Die unendlich langen Läufe, die Unruhe, die gespitzten Ohren, die Rippen. Er taucht auf und verschwindet sofort wieder, lässt nur eine Fährte von wahnsinnigem Begehren zurück. Der Galgo ist ein unerfüllbarer Wunsch, der nicht ausgedrückt werden kann. Der Galgo kommt, er zeigt sich, bewegt den gleichgültigen Nebel und verschwindet mit einem Satz. Und er tut gut daran.
Man darf nicht vergessen, daß ich anfangs sagte „in einem Dorf Kastiliens“: Nebel, Gleichgültigkeit, Galgo, Begehren. Häuser aus Backstein und Häuser mit Wappen. Niemand ist auf der Straße, nur der Nebel, schweigend und taub. Und der wahnsinnige Galgo. In diesem Land wird der Galgo geliebt, könnte man sagen. Aber auch das stimmt nicht ganz.
Also nochmal: Das Begehren in diesem Land ist, einen Galgo zu besitzen (die Betonung liegt auf Besitz). Sein schlanker, beweglicher Körper, seine gespitzten Ohren, seine betroffenen Augen. Die Besitzer von Galgos nennen ihre Namen, ihre jagdlichen Ruhmestaten. Der Besitz Galgo stürmt in die Wildnis und bringt seinem Herrn das Wild. Aus seinem Fang legt er es dem Menschen vor die Füße. Dieser streichelt den kleinen Kopf zwischen den Augen oder klopft zerstreut den eleganten Rücken. Wer hier einen guten Galgo hat, wird beneidet (hier liegt die Betonung auf Neid). Ein lebendes Wesen, brillant und stark, und wir besitzen es. Es lässt uns glauben, daß wir Jäger sind, daß wir wie dieses Wesen sind. Bis zu dem Tag, an dem es nicht mehr jagen kann. Es könnte sein, daß dies an einem nebligen Tag Ende Januar geschieht. Die Jagdsaison ist zu Ende. Dort, wo das Dorf endet, kann man den schlammigen Weg nehmen, der zu den Hallen führt, in dem die Schafe blöken. Man kann keine zwei Meter weit sehen, aber der, der diesen Weg geht, kennt ihn seit seiner Geburt. Er weiß, wie viele Schritte es bis zu der toten Ulme sind, kennt den Pfad zur Steinwüste, die kleine Abtragung wo der Sand geholt wird. Der Galgo folgt ihm. Als sie zu den Steineichen kommen, wird der Nebel dichter. Es ist fast nicht mehr kalt, nur noch sehr feucht, und die Tropfen stehen auf der Stirn oder über der Oberlippe. Wie Schweiß.
Der Mann im Nebel ist wie die Umgebung: der Steineichenhügel, das Hanfseil, der Galgo, der nicht mehr jagen kann. Als er an den Hallen vorbei ins Dorf zurückgeht, ist er allein und das Blöken der Schafe tröstet ihn. Er ist ein stiller Mann, man könnte sagen, daß er taub ist. Aber er ist nicht taub. Nur der Nebel dämpft die Geräusche, verschluckt die Schreie des fast erhängten Begehrens (die Betonung liegt auf fast). Es können Tage vergehen, bevor sie verstummen, denn das Begehren in diesen Ebenen ist stark. Stark und verzweifelt, aber nicht stärker als die feuchte Kälte der Gleichgültigkeit.
Heute ist der mitten auf der Straße eines kastilischen Dorfes aus dem Nebel aufgetauchte Galgo mit einem Sprung entwichen, und es hat ein Aufblitzen gegeben, das die taube und weiche Stille erschütterte und dann entwich. Man könnte sagen, etwa wie eine Allegorie, aber eben nicht ganz.
Die nackte Wirklichkeit: Ein Dorf in Kastilien, daß den Nebel in seinen Gassen wachsen lässt, und mitten auf einer von ihnen ein Galgo, der plötzlich auftaucht und verschwindet. Ich war dort, ich habe es gesehen und mich gefreut, daß der Galgo entkam. Ich habe mich für ihn gefreut.