Christentum und Tierbefreiung
Von Barbara Hohensee:
Einleitung
Seit einigen Jahren gibt es in der so genannten Tierrechtsszene eine Auseinandersetzung um die Glaubensgemeinschaft „Universelles Leben“ (künftig UL). Die Frage taucht bizarrer Weise deswegen auf, weil das UL – im Gegensatz zu den herkömmlichen christlichen Organisationen – ausgesprochen tierfreundliche Positionen vertritt und in die Tat umsetzt. Einige atheistische und hierarchiekritische Tierrechtler lehnen das UL bis hin zur aktiven Bekämpfung ab. Unabhängig davon, dass ich die Prioritäten dieser Kämpfer gegen das UL nicht nachvollziehen kann, ist ihr Ausgangspunkt logisch – wenn Religion grundsätzlich falsch ist, gilt das natürlich auch für das UL. In Heft 57 der Tierbefreiung findet sich nun mit der christlich motivierten Stellungnahme „Christentum und Tierbefreiung?!“ ein neuer Akzent. Die Verfasserin wirbt – unter scharfer Ablehnung des UL – für eine (sonstige) Akzeptanz religiöser Argumentationen und Motivationen beim Thema Tierrechte. Dieser Aufsatz bedarf einiger kritischer Anmerkungen.
1.Terminologische Grundlagen
Auf den ersten Blick, so meint Frau Löhr (künftig L.), scheine es bei der Fragestellung „Christentum und Tierbefreiung?!“ um unvereinbare Widersprüche zu gehen. L., die sich als linke Christin versteht, sieht gleichwohl Anknüpfungspunkte. Dabei verwendet sie verschiedentlich Begriffe, die sie nicht erklärt und deren Inhalt nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann. Den Begriff der Kirche versteht L., ohne ihn näher zu erläutern, institutionell. Für wichtiger als die Frage nach der Institution hält sie auf jeden Fall die nach der Religion. Die Rechnung „Christentum = Kirche“ gehe nicht auf. Interessant könnten die Fragen danach sein, was christliche Ethik ursprünglich gemeint habe und was im Laufe der Jahrhunderte durch machtpolitischen Missbrauch untergraben worden sei. Zur Ermöglichung eines Diskurses müsse man zwischen Kirche/Institution und Christentum/Glauben trennen und zwischen den Ideen und der Umsetzung differenzieren. Wichtig sei besonders die Abgrenzung von Sekten wie dem UL. Hier seien wachsame Analysen und klare Abgrenzungen notwendig.
Bei dem Versuch der Klärung einiger grundsätzlicher Begriffe gehe ich (mit Brockhaus 2005) von folgenden Definitionen aus:
Christentum ist die Bezeichnung für die Gesamtheit der Anhänger des auf Jesus Christus zurückgehenden christlichen Glaubens sowie für diesen Glauben selbst.
Schwierigkeiten bereitet die Definition des Wortes „Christ“. Im Anschluss an Bertrand Russel (1., 17 f.) wird zu verlangen sein, dass ein Christ an Gott, an die Unsterblichkeit und an einen Christus glauben muss, der entweder göttlich oder doch zumindest der Beste und Weiseste der Menschen war. Die christlichen Kirchen stellen höhere Anforderungen. Da diese heutzutage vielleicht nicht mehr jedem bekannt sind, erscheint ein Blick in das auch von der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) als richtig anerkannte apostolische Glaubensbekenntnis erforderlich. Sein Text lautet:
„Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erden. Und an Jesus Christus, Gottes eingebornen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuziget, gestorben und begraben, niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige christliche Kirche, die Gemeinde der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Amen.“
L. hebt in ihrer Fußnote 2. hervor, dass sie nicht an einen allmächtigen Gott glaubt. Das steht in diametralem Gegensatz zum Glaubensbekenntnis sämtlicher evangelischer Landeskirchen (entgegen der Darstellung von L. gibt es diverse). Auch an eine heilige christliche Kirche kann kaum glauben, wer für die Befreiung eines in den Kapitalismus eingeordneten, zur Unterdrückung von Mensch und Tier missbrauchten Gottes plädiert. Dass L. sich gleichwohl zumindest im irdischen Leben ungestraft als Christin bezeichnen kann, verdankt sie allein dem Machtverlust der christlichen Kirchen in Europa. Mitglied einer dieser Kirchen dürfte sie eigentlich mangels Akzeptanz des apostolischen Glaubensbekenntnisses nicht sein.
Die Glaubensgrundlage der Christen ist die Bibel, bestehend aus dem Alten (AT) und Neuen Testament (NT).
Die alttestamentlichen Schriften wurden innerhalb der jüdischen Gemeinde vom 5. bis zum 2. Jahrhundert v.Chr. zusammengestellt; die Entstehung einzelner Bestandteile reicht in sehr viel frühere Zeit zurück. Die diversen Verfasser verfolgten mit ihren Schriften unterschiedlichste Zwecke.
Einzige Quellen für Leben und Lehre Jesu in der Bibel sind die zwischen 65 und 100 n.Chr. in griechischer Sprache verfassten Evangelien des Neuen Testaments (Matthäus, Markus, Lukas, Johannes), deren Gegenstand jedoch weniger der »historische Jesus«, als vielmehr der »Christus des Glaubens« ist. Nicht als historische Dokumente, sondern als Glaubenszeugnisse wollen sie die »Gute Botschaft« (das Evangelium) von Leben, Tod und Auferstehung Jesu vermitteln. Die Verfasser der Evangelien waren nicht selbst Zeugen des Geschehens um Jesus. Die historischen Gegebenheiten werden theologisch interpretiert und in den Dienst der Verkündigung gestellt. Für eine Rekonstruktion des Lebens Jesu sind die Evangelien also nur unter diesem Vorbehalt zu gebrauchen (Leben-Jesu-Forschung).
In den christlichen Bibeln ist nur eine kleine Auswahl einschlägiger religiöser Texte zusammengefasst. Bis gegen das Jahr 200 unterlagen die neutestamentlichen Texte, so der Theologe Jülicher, „zum Teil einer förmlichen Verwilderung“, verfuhr man mit den Evangelien nach Bedarf und Geschmack. Doch haben sie auch spätere Abschreiber noch verändert, neue Wunder eingefügt oder die vorhandenen gesteigert. Um der heillosen Verwilderung ein Ende zu machen, wurde im Jahr 383 Hieronymus mit der Herstellung eines einheitlichen Textes der lateinischen Bibeln beauftragt, von denen auch nicht zwei in längeren Abschnitten übereinstimmten. Der päpstliche Sekretär änderte dabei den Wortlaut der Vorlage, die er als Basis für seine „Berichtigung“ der vier Evangelien benutzte, an etwa 3500 Stellen. Diese Übersetzung des Hieronymus, die Vulgata, die allgemein Verbreitete, wurde im 16. Jahrhundert auf dem Konzil in Trient für authentisch erklärt (2., S.25).
Martin Luther übersetzte das AT und das NT unter Verwendung griechischer und hebräischer Quellen in die deutsche Sprache. Aus evangelischer Sicht ist die (Luther-) Bibel in all ihren Teilen das Wort Gottes oder göttlich inspiriertes Wort, Offenbarung und Norm der Normen. Hieraus folgt, dass die Bibel zwar ausgelegt, aber nicht geändert werden darf. Freilich hielt und hält man sich nicht an dieses Änderungsverbot. „Luther zum Beispiel hat in seiner Übersetzung von den Kriegsgefangenen Davids (1.Chronik 20,3) geschrieben: „Aber das Volck drinnen, füret er eraus / und legt sie unter eisern segen und zacken / und eisern keile / und verbrand sie in Zigelöfen.“ Diese Methode des „göttlichen“ David erinnerte nach dem zweiten Weltkrieg wohl zu sehr an die Methoden Hitlers. Deshalb gibt das Zitat die… 1971 gedruckte Bibel… so wieder: „Aber das Volk darin führte er heraus und stellte sie als Fronarbeiter an die Sägen, die eisernen Pickel und an die eisernen Äxte und ließ sie an den Ziegelöfen arbeiten.“… In der revidierten Fassung der Lutherbibel von 1975 gehen kaum noch zwei Drittel des Textes direkt auf Luther zurück. Mindestens jedes dritte Wort wurde geändert, teils nur geringfügig, teils schwerwiegend.“ (2., S.26 f.)
Bei der Auseinandersetzung mit L. soll von der gegenwärtigen Fassung der Lutherbibel ausgegangen und auch nicht hinterfragt werden, welche Teile dieser Schrift nach der kritischen Forschung als historisch widerlegt angesehen werden müssen.
Die Kirche war ursprünglich der Ort der Versammlung der christlichen Gemeinde, später die Bezeichnung des Gebäudes, in dem sich Christen zum Gottesdienst versammeln. Religionssoziologisch versteht man unter Kirchen die christlichen Religionsgemeinschaften, deren theologische Lehrgrundlage die christliche Glaubenslehre in ihrer Gesamtheit ist. Begründung der Kirche im theologischen Sinn ist das in Apostelgeschichte 2 geschilderte Pfingstwunder, das sie als vom Heiligen Geist gestiftet ausweist. Die katholische Theologie sieht in der Kirche das Volk Gottes; als solches ist Kirche die vom Heiligen Geist gestiftete Gemeinschaft der Heiligen, vereint unter dem gleichen Bekenntnis, den gleichen Sakramenten und der in der apostolischen Nachfolge stehenden Hierarchie. Für lutherisches Verständnis ist Kirche »die Versammlung der Gläubigen, in der das Evangelium unverfälscht verkündet und die Sakramente (Taufe und Abendmahl) in rechter Weise verwaltet werden« (Augsburgische Konfession).
Die von L. postulierte Trennung zwischen Kirche/Institution einerseits und Christentum/Glauben andererseits erweist sich als äußerst problematisch. Eine (evangelische) Kirche ohne (evangelische) Christen ist nicht vorstellbar. Ein Versuch, historisches Versagen von Christen auf anonyme Institutionen „Kirche“ zu verlagern, muss also fehlschlagen. In anderem Zusammenhang, nämlich unter der Überschrift Perspektiven/Aufgaben, stellt L. selbst zutreffend fest, dass Kirchen Organisationen sind, die durch die in ihnen aktiven Menschen mit gestaltet werden.
Als Sekten bezeichnen die christlichen Kirchen von einer Mutterreligion abgespaltene religiöse Gemeinschaften. Gemeint ist „ Abspaltung, Auswurf, gemünzt auf die, die sich von der Wahrheit absondern, an der man selbst festhält. Sektierer (=Häretiker) sind immer die anderen. Stets hat man Minderheiten so bezeichnet, die sich von der Mehrheit trennten. Darin schwingt mit: Die Wahrheit liegt bei der Mehrheit. Sie hat die Macht, folglich das Recht, denen, die nicht mitmachen, besagten Schimpfnamen anzuhängen.“ (3., S.80)
L. gibt sich allgemein durchaus kirchenkritisch, äußert aber die Sorge, dass die Kirchen durch „Sekten“ gleich mit in Verruf geraten könnten. Diese Sorge wirkt vorgeschoben, da das Universelle Leben in starkem Maße Kirchenkritik betreibt und keinerlei Interesse daran hat, mit einer der anerkannten Glaubensgemeinschaften verwechselt zu werden. Die Gefahr einer Verwechslung besteht auch wegen der konsequenten Tierfeindlichkeit der christlichen Kirchen nicht, von der sich das UL deutlich abhebt.
Es bedarf zudem keiner „Sekten“, um die grossen Kirchen in Verruf zu bringen. Das haben sie für denjenigen, der sich mit ihrer Geschichte bis in die heutige Zeit hinein etwas näher befasst hat, schon selbst getan. Dass das UL die Verbrechen der Kirchen klar aufzeigt, mag für Kirchenchristen unangenehm sein und die harschen Reaktionen erklären. L., die als „linke Christin“ einen „erwachsenen, verantwortlichen Glauben und dementsprechendes Handeln“ entwickeln will, sollte sich allerdings fragen, warum sie hier völlig undifferenziert in den Chor der evangelischen Sektenbeauftragten einstimmt, obwohl sogar das Ev. Kirchenlexikon inzwischen weiss, dass „das Wort Sekte noch immer zur Diskriminierung religiöser Minderheiten (dient), weswegen sachlich zunehmend von religiösen bzw. christl. (Sonder-) Gemeinschaften bzw. Vereinigungen gesprochen wird.“
„Solange keine Bereitschaft von linker Seite besteht, sich die Argumente zumindest anzuhören, wird immer weiter eine neue Form von Hierarchie zementiert“, beklagt L. Und was macht sie? „Wachsame Analysen und klare Abgrenzungen“, die L. gegenüber dem UL fordert, sucht man in ihrem Beitrag vergebens. Warum sollte sie auch argumentieren, wenn das UL eine Sekte, böse, vielleicht sogar das Werk des Teufels ist. Ich halte das nicht für zutreffend und teile die Auffassung, die Prof. Karnowsky in seinem Aufsatz dargelegt hat. (4.) Die Tradition Martin Luthers macht sich bei L. jedenfalls deutlich bemerkbar.
2. Martin Luther: Stifter und Begründer der evangelischen Kirche
„Die Heiligenlegenden entlarvte Luther als Märchen. An den Bibellegenden hielt er fest; am Teufelsglauben auch; am Hexenwahn auch; an der Ketzervertilgung auch; am Antisemitismus auch, am Kriegsdienst, an der Leibeigenschaft, den Fürsten. Man nennt es: Reformation.“
(5., S. 383)
2.1. Wer war Luther und was wollte er?
Luther war als Augustinermönch ein hochkatholischer Mann, „er war mönchisch-katholisch.“ Seine gewaltige und „cholerischeTriebnatur“… gegen die er unter diesem strengen Mönchtum (Armut, Keuschheit, Gehorsam) vergeblich ankämpfte, führten dazu, dass er sich den „göttlichen wie kirchlichen Geboten und Verboten“ widersetzte. Seine Unfähigkeit zur Unterordnung führte einerseits dazu, das er sich als Sünder, „als Verworfener“… mit „mächtigen Gewissensbissen“ fühlte, andererseits widersprach es seiner stolzen Natur, seinem Hochmut und seinem Ehrgeiz, sich der „Automatik des unablässigen Sündigens“ und der Lossprechung von den Sünden in der Beichte zufrieden zu geben. Er entwickelte sich weg von diesen Werken hin zu dem Glauben, dass es auf Werke gar nicht ankomme, sondern allein auf die Gnade Gottes, sofern der Mensch nur „fest an Gottes Gnade und das stellvertretende… Sühneleiden Christi glaube“ (Rechtfertigungslehre). Somit konnte sich Luther seines schlechten Gewissens bei seinen wiederholten Verfehlungen entledigen, denn nun war der fest Glaubende immer ein Gerechtfertigter vor Gott. Folgenschwer war, dass Luther diese Lossagung von den autoritären und hierarchischen Strukturen der römisch-katholischen Kirche im Rahmen seiner Rechtfertigungslehre nicht konsequent in Richtung „einer demokratischen Kirchentheorie“ trieb, sondern „die Kirche als Vermittlungsinstrument“ beibehielt und nun anstatt des einen Papstes die Landesfürsten, die seine Lehre annahmen, neben der weltlichen auch die oberste religiöse Autorität bekamen. Die tragische Konsequenz war, „dass der „weltliche“ Herrscher jetzt praktisch alle kirchlich-bischöflichen Vollmachten besaß, so dass im „obrigkeitlich verwalteten Landeskirchentum lutherischer Provenienz die Verbindung von Thron und Altar enger, der allmächtige Kirchenstaat härtere Realität geworden war als in der vorreformatorisichen, kirchlich-katholischen Zeit, in der der Kampf zwischen Kaiser und Papst, Landesfürst und Kirchenfürst noch möglich gewesen war.“ (6., S. 86 ff.) Die Gläubigen wurden nur einer anderen, enger begrenzten Autorität unterstellt, anstatt tatsächlich von weltlicher und religiöser Obrigkeit befreit zu werden. „Der Herrschende wiederum hat dafür zu sorgen, dass im Land nur ein einziger Glaube praktiziert wird. Andersgläubige werden als „Aufrührer“ gebrandmarkt und müssen nach Luthers Lehre hingerichtet werden. Gemäss seiner Lehre gelten Staat und Kirche als die beiden Reiche (Zweireichetheorie, d.V.) zur rechten und linken Hand Gottes.“(6., S.97) „Sie ist bei Augustinus ebenso wie bei Luther „scharf und unbedingt, aber zugleich unsichtbar und nie zu fixieren“ (H. Bornkamm), also einfach wunderbar für Theologen, darin ganz wie´s der Zweck erheischt herumzuschwimmen, ein ideales Terrain, das man, da äusserst variabel, situativ auslegen kann, stets nach dem Opportunitätsbedarf. Unter den Faschisten, als der Begriff Zweireichetheorie nicht zufällig eine Konjunktur erfuhr, lehnten deutsche Lutheraner mit ihr den Widerstand gegen Hitler ab, norwegische und dänische Christen begründeten ihn damit.“ (5., S.381)
„Die Kirche stellt dem totalitären Fürstenstaat die Gläubigen als gehorsame Staatsdiener zur Verfügung, der Staat unterstützt und hilft der Kirche und ermordet eventuelle Gegner der Kirche.“
(6., S.97)
„Luther in seiner reformatorischen Anfangsphase, Müntzer, die Täufer, aber auch das „Universelle Leben“ und einige andere heutige christliche Guppen, von den beiden Grosskirchen und ihren Sektenbeauftragten verächtlich als „Sekten“ bezeichnet, stehen für eine unsichtbare, geistige Gemeinschaft, ein Reich des Glaubens und der Liebe, das keinen Primat und keine Autorität eines Papstes braucht, um funktionieren zu können.“
(6., S. 88)
2.2. Die Sektenbeauftragten der evangelischen Landeskirchen und ihr Vorbild Luther
Die Sektenbeauftragten haben zunächst ein Problem mit Luthers radikaler Ablehnung eines von Jesus gestifteten Primats des Papstes, wollen sie doch das „ökumenische Klima“ nicht vergiften. Sie spüren, dass so manche dieser „Sekten“ dem ursprünglichen Ideal Luthers von „einer demokratischen Kirche viel näher stehen als sie selbst“, und möchten „ihren eklatanten Widerspruch zur ursprünglichen Kirchenkonzeption des Reformators“ verdecken. „Der eigene Abfall vom Ideal wird verdrängt und kaschiert, dafür wird ein Sündenbock gesucht, auf den man alles lädt, was man selber versäumt, verbockt oder verbrochen hat … Wie gesagt, die heutigen evangelischen Kirchenapologeten lügen sich in die eigene Tasche, wenn sie Luthers Kritik an der römisch-katholischen Kirche zu verharmlosen suchen.“ (6., S. 88 f.)
Luther „spart in seiner Ketzervernichtungswut fast niemanden aus“, … seine „Verachtung der Philosophie“… der menschlichen Vernunft, die es nicht geben kann, da der Mensch völlig verdorben ist, … er lehnt auch den Humanismus ab und verketzert ihn… „Merke: Die Reformation Luthers ist „anti-rational“ und „antihumanistisch“, da sie ja von den Fähigkeiten und der Schöpferkraft des Menschen nichts hält. Daher sollten Staatsmänner und Medien endlich nicht mehr darauf hereinfallen, dass evangelische Sektenbeauftragte die sog. Sekten als irrational und inhuman diffamieren, sich selbst aber gleichzeitig als rational und die „human rights“ schützend anpreisen. Wie unerhört inhuman und menschenrechtswidrig Luther denkt und handelt, zeigt sich auch in seinem Verhältnis zu den Juden. Wiederum manifestiert sich hier derselbe Vernichtungsmechanismus, wie ihn Luther bereits gegen Bauern und Wiedertäufer, Thomas Müntzer und Erasmus (von Rotterdam, d.V.), Philosophen und Humanisten anwandte:“ Wenn der Jude sich nicht zum Christentum bekehrt, ist er des Teufels oder ein Teufel und soll er dann entsprechend bestraft oder getötet werden.“ (6., S. 105 f.)
„Der Obrigkeitssklave Luther gestattet sich … Doppelmoral, den lutherischen Herrschern bzw. anglikanischen Herrschern zu erlauben, was er z.B. den Täufern bei Androhung der Todesstrafe verbietet (gegen deren Versuch der Einführung der Polygamie 1534 in Münster wettert Oberheuchler Luther nämlich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Unflätigkeit seiner Rhetorik). Das also ist Luther, der Hurerei und Polygamie im Volk und in den „Sekten“ mit dem Tode bestrafen möchte, aber Ehebruch, Hurerei und Bigamie der Fürsten und Könige unterstützt. Diese Heuchelei und Doppelzüngigkeit zeichnet auch heute viele Lutherische Sektenbeauftragte in markanter Weise aus. Sie sehen eben in dem „grossen“ Reformator ihr leuchtendes Vorbild … Luther hasste die Täufer aus ähnlichen Motiven, aus denen heute kirchliche Sektenbeauftragte so manche neue nichtkirchliche Bewegung hassen und verfolgen: aus Neid, Missgunst und Konkurrenzangst, denn die Täufer verkörperten ja eine reinere Form des Christentums, als ihm vorschwebte, der sich Kirche ohne staatliche Unterstützung und Privilegien nicht vorstellen konnte.“
(6., S.114)
„Luther ist kein (tief-)religiöser Reformator … auch nicht bloss irgendein Sektenjäger, sondern geradezu der von tausend Teufeln des Hasses und der Mordlust getriebene klassische Typ des Ketzer- und Sektenvernichters, ein Grossinquisitor neuen Stils, da er nicht einmal die Gerichtsprozesse, die die katholische Inquisition immerhin wenigstens formell vorschrieb und durchführte, abwartete, sondern ohne Gericht, ohne Untersuchung oder Überprüfung die Herrscher und das Volk zum Totschlagen der Bauern und ihrer Anführer, der Ketzer- und Sektenangehörigen, der Papisten und Humanisten demagogisch-hypnotisierend aufrief und aufforderte. Womit er ja auch als damaliger „geistiger“ Führer der deutschen Nation in Tausenden von Fällen Erfolg hatte… Die Kleingeister und geistigen Zwerge von heutigen kirchlichen Sektenbeauftragten als Ab- und Nachkömmlinge Luthers müssen sich durch sein beeindruckendes Beispiel, das Beispiel eines der grössten Sektenjägers aller Zeiten, gestärkt und ermutigt fühlen zu ihrer „schweren“, „verantwortungsvollen“ Aufgabe heutiger Mehrung des Einflusses der Kirche im Staat auf Kosten der Diskriminierung und Verteufelung aller anderen religiösen Bewegungen… Die Frage stellt sich geradezu zwangsläufig: Muss man nicht so werden, wie es die meisten evangelischen Sektenbeauftragten im Dienst von Kirche und Staat sind: rabiat, maß- und zügellos in ihrer ungerechten Beurteilung, in ihren „Experten“-Dossiers über nichtkirchliche Bewegungen; subjektiv-emotional gefärbte Schreckensmeldungen (freilich immer mit dem Anstrich der Betroffenheit, Seriosität und des nur um das Wohl der Menschen, der Jugendlichen usw. Besorgtseins) über die „Sekten“ verbreitend – wie gesagt, muss man nicht so werden, wenn man von einem solchen Konfessionsgründer, Oberlehrer, Generalverkünder und „Propheten“ wie Luther abstammt und abhängt, wenn man in einem so ungeistigen Milieu lebt, das wesentlich er geschaffen und bereitet hat? Die Frage stellen heisst sie bejahen, denn das Prägende und Formierende, der übermächtige Einfluss von Luthers fataler Persönlichkeits- und Denkatmosphäre auf seine heutigen Epigonen ist unübersehbar. Sie müssen verketzern, weil und wie er verketzert hat, und sie tun es umso eifriger und fanatischer, als sie ja wissen, dass sie – im Verhältnis zur katholischen Kirche – selber Ketzer sind (Merke: Für die römische Kurie und jeden ihrer Beamten bis hin zum Papst bleibt Luther ein Ketzer, ein Abtrünniger, und mit ihm bleiben es seine ganze „Reformation“ und „Kirche“. Nur unbedarfte, ökumenebesessene evangelische Kirchenmänner können die entgegenlautenden Hirtenbriefe und Enzykliken der katholischen Hierarchie für bare Münze halten)… Eine Kirche, die sich von so einer Gestalt wie der Luthers herleitet, trägt eine riesengrosse, fatale Hypothek mit sich. Der düstere, blutrünstige, bluttriefende Schatten des „Reformators“ lastet unheilschwanger über dieser „Kirche“ und ihren Verkündern wie Anhängern. Luther erfüllt ja auch fast jeden kriminellen Tatbestand in puncto fünftes Gebot. Er müsste nach heutigen Rechtsbewusstsein- und empfinden ins Gefängnis oder in die Psychiatrie. Er ist das klassische, unüberbietbare Musterbeispiel grenzenloser Intoleranz. An sich müsste jeder evangelische Christ, der sich das klarmacht, aus seiner Kirche austreten. An sich müsste auch eine Kirche wie die evangelisch-lutherische, die derart maßgebend von Luther als ihrem Stifter und Lehrer abhängt, als verfassungsfeindlich und kriminell eingestuft werden, und zwar auch deshalb, weil ihre Sektenbeauftragten weiterhin das Handwerk der totalen Diffamierung und Diskriminierung ihnen nicht genehmer Bewegungen ausüben und fortsetzen… In Wirklichkeit unternimmt der Staat nichts gegen die evangelisch-lutherische Kirche, weil die verantwortlichen Politiker Ignoranten in Bezug auf die Gesamtheit der Lehren Luthers sind, weil ihr Lutherbild ein alle negative Aspekte ausklammerndes geschöntes ist, indem sie von Luther nicht mehr wissen, als was ihnen im konfessionellen Religionsunterricht der Schule beigebracht wurde und weil viele wichtige und einflussreiche Positionen in Staat und Gesellschaft von ev.-lutherischen Kirchenmännern und –mitgliedern besetzt sind. Angesichts der weitverbreiteten Ignoranz der Politiker und weiter Kreise der Gesellschaft bezüglich der fatalen Negativität und Destruktivität der Lehren Luthers können evangelische Bischöfe ohne Furcht vor Protesten das Erbe Luthers weiter anpreisen und empfehlen. So erklärte kürzlich z.B. ein evangelischer Landesbischof in einer Botschaft im Internet: „Wir wollen das geschichtliche Erbe der lutherischen Tradition bewahren als unsere kulturelle und geistige Heimat.“
(6., S. 116 ff)
2.3. Eine feministische Befreiungstheologie nach Luther?
Sie steht in Hinblick auf Luthers Theologie und seine Verachtung der Frauen, insbesondere seinen Hexenwahn, unter keinem guten Stern. „Ganz wie die Papisten hielt auch der Ex-Mönch Luther die Frauen als für Hexerei und Zauberei besonders anfällig, und zwar wegen ihrer allzu grossen Liebe zu ihren Kindern, wegen ihrer angebliche Dummheit, ihres Unverständnisses, ihrer Angst und Neugier… Kein Zweifel, der Hass vornehmlich gegen Frauen, wie er sich in der Hexenverfolgung kundtat …‚ wurde von Rom aus verbreitet im Interesse des Papsttums. Aber als die Reformation ausbrach, wurde der Wahn nicht erkannt und abgelegt, sondern er wuchs noch.“ Vermeintliche Hexen „wurden von Lutheranern sogar noch fanatischer verfolgt als von der alten Inquisition“ (6., S.113). „Und dass Frauen minderwertig sind, stand für den grössten aller Reformatoren so fest wie für die grössten Kirchenlehrer der Catholica. Ja, er übertrifft diese noch an Diffamierungsvermögen, er wird so niederträchtig, dass man meinen könnte, er sei beim „Hexenhammer“ in die Schule gegangen, den er aber nie erwähnt, vielleicht nicht einmal gekannt hat. Wie auch immer, allen Ernstes behauptet er, die Frauen,…, haben ein ähnliches Verhältnis zum Teufel wie die Männer, die Priester, zu Gott, …, wodurch auch Luther in bester katholischer Tradition die Frauen zu den eigentlichen Brandopfern der Hexenprogrome macht.“ (5., S. 413 ) „Das nahezu bedenkenswerteste Wort aber, das ich über Luther kenne, stammt von einem (sonst nicht sonderlich von mir geschätzten) Katholiken, von Joseph Lortz, und lautet: ‚„Luther war katholischer, als wir wussten … und als der grösste Teil der evangelischen Forschung es weiss’“: schlösse wohl besser: es wissen will.“ (5., S. 430)
Zwar gibt es heute – gegen starken Widerstand – in der evangelischen Kirche Bischöfinnen, deutet vieles daraufhin, dass die evangelische Kirche eine gerechtere Geschlechterpolitik als die katholische Fraktion betreibt, doch sollte man darüber das von Luther gelegte Fundament nicht vergessen. Es steht noch immer unangetastet durch die unkritische Verehrung Luthers. Dass der evangelische Zeitgeist Frauen in hohe kirchliche Funktionen zulässt besagt nicht viel mehr, als dass der Zeitgeist sich auch wieder ändern kann – nicht nur in Hinblick auf die ökumenischen Bestrebungen und die Bemühungen um Anerkennung durch die rk-Kirche, sondern gerade eben auch in Bezug auf das ideologische Fundament des Stifters.
3. Die Bibel als Grundlage von (Tier-) Befreiungstheologie?
Das Thema der Bibel ist das Verhältnis zwischen Gott und Menschen, und zwar in Hinsicht auf das ewige Leben. Daraus ergibt sich zweierlei. Erstens geht es nicht um Tiere, sondern um Menschen. Schon deswegen ist das Unternehmen, aus der Bibel tragfähige Grundlagen für eine Tierbefreiungstheologie abzuleiten, überaus verwegen. Zweitens geht es in der Bibel, die auch die Sklavenhaltung und die Unterdrückung der Frauen billigt (7.), jedenfalls nicht hauptsächlich um das irdische menschliche Leben.
„Alles Leid der Menschen, der Tiere und Pflanzen, das wirklich zu beseitigen ist (weil es von Menschen, Christen, Kirchen verantwortet wird) muss von den Menschen selbst angegangen werden. Unsereins sollte das Bessere nicht vom Tod und dem angeblichen Leben nach diesem erwarten, sondern von sich selbst. Dies war der Antike noch bewusst: Ihre Menschen fürchteten den Tod weit weniger als die Menschen des christlichen Abendlandes – weil sie lebten, während den Christen das Leben mit seinen Sinnen aberzogen wurde. Da der Wandel des Christen im Himmelreich sein sollte, blieb für die Erde wenig übrig. Irdisches Leid ist für viele Christen weithin unerheblich; sie sehen nicht recht ein, weshalb sie sich im Jammertal engagieren sollen. Daran erkennen wir geschwind, wie jämmerlich sie selber sind.“
(8., S.124)
Auch hier so ganz anders als die tradierten Gläubigen die Christen des UL. Sie engagieren sich tatkräftig im Jammertal. Sie müssen nicht fragen: „Wie? Nur Nächstenmoral soll ich üben? Nur meinesgleichen soll ich lieben? Nicht die Sonne? Nicht die Tiere? Nicht Blumen und Kräuter? Nicht Bewohner unbekannter Welten und bessere Gestirne? Es scheint mir, dass bei euch im Abendlande nur der Mensch aus dem Leben heraus – und der Natur gegenübergetreten ist. Denn immer handelt es sich um eure Not, eure Sehnsucht, eure Erlösung.“ (8., S.137)
„Kein (kirchliches) Christentum befreit vom Patriarchat, wie kurzschlüssige feministische Theologie suggeriert. Christliche Religion ist, nicht zuletzt in ihrer Bestätigung einer fraulichen Opferrolle, nichts anderes als der Phänotyp des Patriarchats, eine lupenreine Ausprägung patriarchaler Normen und Handlungsmuster, die es exemplarisch in sich hatte und hat. Herrschaftsfreiheit wird von den kirchlichen Machttechnikern und ihren Medien, aber auch von den (über-) angepassten Gläubigen als Sinnverlust gedeutet.“
(8., S.101 f.)
Demgegenüber weist das UL eine Prophetin vor und durchbricht damit in religiösen Fragen das durchwegs unter männlicher Herrschaft und männlichem Prophetentum geprägte patriarchalische Bild der Kirchenchristen.
Rein tatsächlich bleiben die Erfolge der Befreiungstheologie aus:
„Die lateinamerikanischen Befreiungstheologen fordern, nicht die Kirche, sondern der Mensch müsse im Mittelpunkt des Glaubens stehen. Dieser Vorstellung bereitete Johannes Paul II. , der in solchen Lehren eine gefährliche Ketzerei, ja die Drohung einer Kirchenspaltung (wohl eher die Entmachtung des Klerus, d.V.) sah, eine Abfuhr. Mit allen Mitteln stemmte er sich gegen die Kirche der Armen und gegen die Befreiungstheologie. Stattdessen forderte er die Befreiung von der Sünde und vom Bösen als Verkündung der Kirche. Und gegen die rebellischen Lateinamerikaner wurde er vom deutschen Kardinal Joseph Ratzinger, als seine rechte Hand, unterstützt. Ratzinger schickte eine umfangreiche Verurteilung der Befreiungstheologie nach Lateinamerika. Die Befreiungstheologie wurde letztendlich isoliert, denn die römische Weltkirche und die amerikanische Weltmacht hatten denselben Gegner. Um das sozialrevolutionäre Potential der Kirche der Armen zu schwächen, empfahl schon 1969 Präsident Nixons Sonderbotschafter Nelson A. Rockefeller die Förderung evangelikaler (biblisch-fundamentalistischer) Bewegungen sowie Regierungsumstürze in Lateinamerika. Während ein Jahrzehnt später Präsident Reagan mit finanziellen und militärischen Mitteln gegen linke Bewegungen in Süd- und Mittelamerika vorging, übernahm Johannes Paul II. die Domestizierung der Befreiungstheologie. Die massive Protegierung protestantisch-fundamentalistischer Gruppen durch die USA konnte freilich nicht im Interesse Roms sein: Diese sind zwar rechtslastig und autoritätshörig, der Zulauf zu ihnen lichtete aber auch die katholischen Reihen. Die evangelikalische Bewegung, die protestantische Pfingstbewegung, wächst immens. Gerade in den Elendsvierteln der Riesenstädte fassen die Pfingstler besser Fuß, als es der Befreiungstheologie je gelungen ist. Sie gilt heute als gescheitert. Ernesto Cardenal hält den Begriff „Theologie der Befreiung“ für schlecht gewählt. Man solle besser von der „Theologie der Revolution“ sprechen. Der gehe es zur Zeit nicht anders als den revolutionären Bewegungen auf der ganzen Welt – es stehe ziemlich schlecht um sie, weil der Kapitalismus triumphiert habe. Cardenal: Es gibt zwei Kirchen. Im Allgemeinen steht die hierarchische Kirche auf der Seite der Reichen. Die Kirche Jesu Christi steht auf der Seite der Armen. Der Kapitalismus kann die Welt nicht für immer beherrschen. Es muss ein anderes, gerechteres und humaneres System geben. Doch der status quo der Kirchen, die schon immer auf der Seite der Mächtigen und Reichen standen, verhindert das.“
(9., S.86 ff)
Man darf nur hoffen, dass die in den Kirchen verhafteten Illusionisten auf den harten Boden der Tatsachen zurückfinden und erkennen, dass es keine Reform innerhalb der Großkirchen ohne Anstoß und ernstzunehmende Konkurrenz von aussen geben kann. Frühestens, wenn den Großkirchen die Gläubigen in Scharen davonlaufen und sie dadurch zum Umdenken gezwungen werden, besteht die Chance auf Änderungen. Allerdings bleibt die Glaubensgrundlage dann immer noch äusserst problematisch; und sie kann kein Fundament für eine ethisch denkende und handelnde Gemeinschaft bilden. „Ich hoffe, dass kein Theologe es mehr wagen kann, seine Religion als Hort der Freiheit und des Lebens auszupredigen, ohne dass ihm die Millionen Toter begegnen, die diese um ihrer Machterhaltung willen opferte.“(8., S.139 ff.)
Das bemerkenswert unkritische Verhältnis von L. zur Bibel zeigt sich in folgender Bemerkung: „Es liegt auf der Hand, dass Texte, die zwei Jahrtausende alt sind, interpretierbar sind – und sein müssen.“ Ob ein Text interpretierbar ist, hängt weniger von seinem Alter als von seinem Inhalt ab. Findet ein Mann heraus, dass die ihm Angetraute nicht mehr Jungfrau war, so ( 5. Mose 22, 13 ff) „soll man sie heraus vor die Tür ihres Vaters Hauses führen, und die Leute der Stadt sollen sie zu Tode steinigen.“ Völlig eindeutig wird die Todesstrafe unter anderem für zahlreiche weitere sexuelle Normabweichungen (5. Mose 22, 23 f; 3. Mose 20, 10 – 17) und verhaltensschwierige Söhne (5. Mose 18-21) angeordnet. Hierüber und über die Freude des biblischen Gottes an Eroberungs- und Vernichtungskriegen, seine Anordnungen zur mitleidlosen Schlachtung von Kindern, Frauen, Greisen und Männern, seine Intoleranz gegenüber andersgläubigen oder „sündigen“ Menschen und seine Forderung nach bedingungsloser und rechtloser Unterwerfung kann keine ehrliche Interpretation hinweggehen.
Der trinitarische (Vater+Sohn+Hl.Geist= 1 Wesen in drei Personen) christliche Gott gilt als allmächtig, allliebend und allgütig. Die von der Kirche gefasste Bibel zeigt fast durchgängig mit Gewalt und Liebe doppellegierte Darstellungen des Gottes und damit, dass an ihrem Gottesbild einiges nicht stimmen kann. Entweder ist dieser Gott allmächtig, dann ist er nicht allliebend, oder er ist allliebend, dann ist er nicht allmächtig. Man vergleiche nur einmal, wie sich im einen Wesen dieses Gottes ganz unvereinbare Wesensmerkmale befinden. Das ist die Wirkung einer Religion, die sich den Stammesgott und die Glaubensfundamente eines anderen Kulturvolkes – der Juden – angeeignet hat. Ein Problem, das auch L. auffiel, und das sie in eklatantem Widerspruch zu ihrer Kirche auf einen ohnmächtigen Gott hin auflöst – einen Gott, der sein freigelassenes Geschöpf Mensch nicht im Griff hat, was immer er auch tut. Die kirchliche Theodizee hat bis heute mit dem verqueren Gottesbild zu kämpfen. Große christliche Mystiker wie Meister Eckart oder Giordano Bruno hinterfragten diese Widersprüchlichkeiten nicht als Einzige in der langen Kirchengeschichte, und während Meister Eckart nur knapp der Inquisition entkam, wurde Bruno im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Den Abstand vom trinitarischen Kirchengott haben auch die Christen des Universellen Lebens auf ihre Weise vollzogen und aus dem daraus entstehenden einzig allliebenden Gottesbild ihr Lehrgebäude gezogen. Sie sind damit einer tier- wie menschenfreundlichen Ethik weitaus näher gekommen als die etablierten Kirchen.
Für mich unverständlich ist die Annahme von L., die – vermeintliche – Interpretierbarkeit der Bibel sei ein Vorteil. Will Gott nicht, dass man ihn versteht? Was ist das für ein Gott, der – nach L. – über 2.000 Jahre grotesk missverstanden wurde? Wir haben es hier nicht mit einem menschlichen Gesetz, das in der Tat mit allgemein anerkannten Auslegungsmethoden seinem Sinn nach auch auf Fälle angewendet werden kann, an die seine historischen Verfasser nicht gedacht hatten, sondern mit Gottes oder göttlich inspiriertem Wort zu tun. Was ist gut daran, dass sich – wie L. zutreffend darlegt – nordamerikanische Fundamentalisten auf dieselben Texte beziehen (können) wie marxistisch inspirierte Befreiungstheologen aus Lateinamerika? Der Effekt ist doch nur der, dass man sich nicht – wie unter aufgeklärten Menschen üblich – um eine sachliche Diskussion bemühen muss, derer es schon deswegen nicht bedarf, weil man ja – vermeintlich – Gott auf seiner Seite hat.
„Zyniker könnten in der Widersprüchlichkeit, Uneindeutigkeit und Unklarheit einer mit dem Anspruch göttlichen Ursprungs und damit Unveränderbarkeit auftretenden Botschaft den Vorteil einer durch jeweilige Selektion ermöglichten Flexibilität ausmachen. In der modernen Theologie und ihrem Bemühen um Anpassung der archaischen Inhalte der Bibel an den modernen Bewusstseinsstand könnte man diesen Eindruck teilweise gerechtfertigt sehen. In der ganz großen Mehrzahl der historisch überblickbaren Situationen hat sich die Kombination mehrdeutiger Unklarheit bzw. Widersprüchlichkeit mit dem Anspruch auf göttlichen Ursprung und absolute Geltung jedoch als eher verhängnisvoll erwiesen: Die Zahl der über die Jahrhunderte aus Gründen unterschiedlicher Auffassung und Auslegung der göttlichen Botschaft Verfolgten, Gefolterten, Hingeschlachteten, bei lebendigem Leib Verbrannten usw. ist Legion. Tatsächlich muss eine solche Verbindung von Unklarheit und göttlich-absolutem Geltungsanspruch zu extremer psychischer Konflikthaftigkeit mit allen ihren nicht zuletzt aus der klinischen Psychologie bekannten Folgen für psychisches Wohlergehen und zwischenmenschliche Beziehungen führen, es sei denn, man nimmt die göttliche Botschaft (der Bibel, d.V.) nicht (mehr ganz) ernst,“ (10., S.59 f) oder man versieht die göttliche Botschaft mit einer klaren Zielsetzung, wie sie das UL unter Einbeziehung gnostischer Elemente praktiziert. Dem frühen Christentum waren sie bekannt. Sie wurden aber gleichwohl von der späteren Amtskirche weitgehend eliminiert. Der Gott der frühen Christen ist ein Gott der reinen Liebe und kein Strafgewaltiger. Der Mensch setzt im Rahmen der gnostischen Lehre vom Seelenaufstieg zu Gott selbst die Ursache und Wirkung der Wiedergeburt (Reinkarnation), wenn er die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung missachtet, kann aber auch freiwillig reinkarnieren, um leidenden Geschöpfen zu Hilfe zu kommen. Er ist damit aufgerufen, im Diesseits tatkräftig gegen alles Leiden anzugehen. In dieser Anforderung möchten manche eine Überforderung des Menschen und/oder eine Diskriminierung von Gewalt Betroffener sehen. Die Lehre des UL stellt sicher keine einfachen Anforderungen an den einzelnen Menschen, doch sollte sie zumindest mit den etablierten Lehren verglichen werden, die wegen der Androhung diesseitiger bis jenseitiger Strafen bis hin zur ewigen Verdammnis immens Furcht einflößend sind, zumal der Gläubige dadurch in eine Ungewissheit gestellt wird, die er nicht selbst beseitigen kann. Er ist ganz der Gnade seines mit Strafgewalt ausgestatteten Gottes ausgeliefert.
4.Historische Auswirkungen des Christentums: Einige Zitate zur Kirchengeschichte
Die Wende zu den neuzeitlichen ethischen Werten wie Toleranz, Mündigkeit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten könne, so wird behauptet, „als latente Wirkung des Christentums verstanden werden“ (11., S. 614). Dies spricht den Tatsachen Hohn. Alle diese Werte und Prinzipien wurden gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen, und damit auch der ihnen verhafteten Christen, durchgesetzt. Mit Freiheit meinte die Kirche immer nur ihre eigene, und sie verbarg ihre Motive nicht nur hinter einer immer ausgeklügelteren Theologie, sondern sorgte gleichzeitig dafür, dass die im Laufe der Kirchengeschichte wiederholt aufkommenden Kritiker und Gegenbewegungen gnadenlos verfolgt und brutal ausgemerzt wurden. Das Haus beider Kirchen, der römisch-katholischen wie der evangelischen, steht bildlich gesprochen bis zum Dachstuhl im Blut ihrer Opfer.
„Sehen wir uns um, so stellen wir fest, vorausgesetzt, wir sind nicht blauäugig, einäugig, blind: Jeder Gewinn im menschlichen Gefühl, jede Verbesserung der Strafgesetze, jede Maßnahme zur Verminderung der Kriege, jeder Schritt zur besseren Behandlung der Farbigen, jede Milderei der Sklaverei, jede vernunftgemäße Erziehung und Aufklärung wurde zunächst von den organisierten Gläubigen bekämpft! Das Christentum ist weit davon entfernt, für die im neuzeitlichen Europa erreichte Kultur des Humanen verantwortlich zu sein. Es blieb in Sachen Humanität ohne Schrittmacherfunktion, war der Hauptfeind des moralischen Fortschritts in der Welt.“
(8., S.215)
Die Geschichte des Christentums weist „in unvorstellbarem Ausmaß – für jeden, der Tatsachen noch zur Kenntnis nimmt, nehmen kann – unbestreitbar archaische Grausamkeiten und Gewalttätigkeiten, Inhumanität und Intoleranz“ auf. „Dem gleichermaßen verbreiteten (weitgehend durch die Kirchen und ihren Religionsunterricht manipulierten) Nichtwissen oder verdrängenden Nichtwissenwollen, der erstaunlichen hartherzigen Unsensibilität und mangelnden Vorstellungskraft (-wille?), von denen die Kirchen leben und aufgrund deren man als Kirchen- und Christentumskritiker immer wieder als fanatisch-hochselektiver Negativist eingeordnet und „bewältigt“ wird, all dem kann man die Worte des Theologen und Kirchenhistorikers Walter Nigg entgegenhalten: ‚„Der Behauptung, dass es nicht so schlimm gewesen sei, muss geantwortet werden: Doch, es war schlimm, so schlimm, dass es schlimmer nicht hätte sein können!“’ (10.,55 f.)
„Das Kirchenchristentum machte aus antiken und neuzeitlichen „Heiden“ keine besseren Menschen. Das genaue Gegenteil ist tausendfach zu belegen: Die Jünger griffen das patriarchale Erbe auf, tauften es in ihrem Sinn und „verbesserten“ nicht nur die Theorie, sondern auch alle Methoden der Verfolgung. Eros und Thanatos gehen in der Liebesreligion eine eigene Ehe ein. Die Folgen sind unabsehbar; die Verwüstung des Sexus durch die Grausamkeit lebt fort. Fast bin ich versucht, hier den alten Satz zu zitieren, nach dem der Mensch des Menschen Wolf ist. Doch möchte ich die Wölfe nicht verleumden.“
(8., S.285)
„Die Kirchen, Großorganisationen des herkömmlichen Christentums, sind heute schockiert, weil sie die frischen Wasser der religiösen und pseudoreligiösen Energien nicht auf ihre Gottesmühlen zu leiten vermögen. Doch sie sind zu schwach, auch nur einen bescheidenen Anteil an der gegenwärtigen Glaubensrenaissance zu beanspruchen. Ihre Geschichte ist entlarvt, ihre Glaubwürdigkeit litt schwersten Schaden… Es wirkt nur noch komisch, wenn Kirchenvertreter, denen in letzter Zeit die Menschen (des christlichen Abendlandes) in Scharen davonlaufen, vom neuen Aufbruch des Glaubens in den Seelen sprechen und dabei ausgerechnet an ihresgleichen denken. Sie haben keinen Grund, die Entwicklung anzuprangern. Die christlichen Kirchen haben die Vernunft nicht gepachtet, auch wenn Sektenbeauftragte, die neuen Inquisitoren, dies vorgeben. Der christliche Glaube verlangt nicht weniger, sondern mehr irrationalen Glauben, als manche „Sekte“ einzufordern wagt. Erst recht nicht dürfen jene Großkirchen, die nicht nur 16 Milliarden D-Mark (8 Milliarden Euro) Kirchensteuer pro Jahr einnehmen, sondern auch Subventionen in Milliardenhöhe für ihre Zwecke kassieren, auf die ungezügelte Spendenfreudigkeit von Sektenmitgliedern verweisen und bestimmte „Sekten“ als „bloße Wirtschaftsunternehmen“ charakterisieren: heuchlerisch, einen wesensmäßigen Zusammenhang von Glaube und Geld nur bei anderen anzunehmen und sich selbst auszunehmen… Im übrigen erklärten uns die beiden größten nichtstaatlichen GrundbesitzerInnen der Republik bis heute nicht, wie sie in den Besitz ihrer immensen Ländereien gelangten. Es ist bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen, dass bischöfliche Raubzüge und Raubkriege, klerikale Betrügereien größten Ausmaßes, oberhirtlich legitimierter Mord für den Gewinn verantwortlich zeichnen. Auch die Folter hat ihren Anteil.“
(8., S.12 f.)
5.Konkrete Beispiele aus der Bibel
5.1. Die Schöpfungsgeschichten des AT (Genesis 1 u. 2)
L. erwähnt nur die priesterliche Schöpfungsgeschichte, doch ist die im Anschluss gegebene jahwistische Schöpfungsgeschichte für das volle Verständnis der Vorgänge erheblich.
Vor der Betrachtung dieser beiden biblischen Schöpfungsgeschichten sollte man sich zunächst die Vorstellung des ägyptischen Königs Achthoes II. (um 2250 v.Chr.) zur Schöpfung ansehen. Sie lautet:
„Wohl behütet sind die Menschen, die Herde Gottes. Er hat Himmel und Erde zu ihrem Wohlgefallen geschaffen, er hat des Urwassers Kraft gebändigt, er hat Lebensodem für ihre Nasen geschaffen. Sie sind seine Ebenbilder, hervorgegangen aus einem Leibe. Er geht am Himmel auf für ihre Herzen und fährt einher, sie zu schauen. Er hat für sie die Pflanzen und die Tiere geschaffen, die Vögel und Fische, sie zu ernähren…“ Verständlicherweise ist auch der König das Werk dieses Einen Gottes: „Er hat ihnen Herrscher schon im Mutterleib erschaffen als Gebieter, um den Rücken der Schwachen zu stützen… Er hat die Frevler unter ihnen getötet… Siehe, Gott kennt jeden Mann.“
(12., S. 212)
Patriarchale Gesellschaften erzeugen personifizierte männliche Gottheiten, die wiederum herrschende Söhne und Ebenbilder haben.
„Der Gott, der „den“ Menschen, also den Zwitter Adam-Chewah, aus einem Erdenkloß (Gen. 2, ca. 750 v.Chr., a.A. 13., S. 4) und dann in einer zweiten Schöpfungsgeschichte (Gen.1, Priesterschöpfungsgeschichte, ca. 445-570 v.Chr., a.A. 13., S. 4) aus seinem Wort als Ebenbild schaffte, ist das Erlebnis der Menschen einer späteren Entwicklungsstufe. Wir können diese sogar durch Vergleiche mit den Mythen anderer Völker ziemlich genau feststellen.“
(12., S. 212)
„Jahwe ist in der frühen Richterzeit (ca. 1350 v.Chr.) keineswegs schon der einzige, von den Hebräern verehrte Gott gewesen; neben ihm haben damals noch andere, offenbar ranggleiche Götter gestanden. Die Göttin Anatha wird erst allmählich von Jahwe verdrängt. Von hier aus wird die Zweigeschlechtlichkeit verständlich und geradezu notwendig, in der uns Jahwe dann in der Schöpfungsgeschichte Genesis 1, 26,27 entgegentritt: Das religiöse Gefühl des Zeitalters, das diesen Schöpfungsbericht niederschreibt, „fordert“ den männlichen Gottvater. Unvergessen sind jedoch die Volksmythen aus uralter Vergangenheit, die von einer Muttergottheit berichten. Die Doppelgeschlechtlichkeit Jahwes bewahrt die israelitischen Frauen davor, daran Anstoß zu nehmen, dass diese Große Mutter in ihren Gebeten, in den Worten der Leviten (rein männliche Priesterkaste der Juden, d.V.) die Gestalt des Großen Vaters angenommen hat.“
(12., S. 287)
Die Schöpfungstätigkeit ist eingebettet in die Geschichte in ihrer Ganzheit, wie sie dem Volk Israel widerfahren ist. Wobei nach Gen.1, 27, 28 „der Mensch unter der besonderen Zuwendung Gottes steht und eine herausragende Stellung in der Schöpfung empfangen hat: als Gottes Ebenbild soll er über die anderen Geschöpfe herrschen.“ (14., S.2146/47)
Im Blick auf seine besondere Stellung und seine Sünde erscheint der Mensch als der, um dessentwillen die ganze Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen ist. (14., S. 2146; 1. Mos. 3,19; Röm. 8, 19-25)
In den Augen des biblischen Gottes ist der (männliche) Mensch mehr wert als Tiere. Das wird noch dadurch betont, dass sie – ohne jegliche Schuld – das nachfolgende Schicksal des Menschen erleiden müssen. Die Tiere haben deshalb keine eigenen Daseinsrechte, auf die der Mensch Rücksicht zu nehmen hätte. Ein allmächtiger (?) Gott sollte keine anderen Möglichkeiten gehabt haben, als das Schicksal unschuldiger Tiere an das Schicksal der verdorbenen Menschen zu knüpfen?
Die dem Menschen und den Tieren zugewiesene Ernährung in Gen 1, 29 unterstreicht die Sonderstellung des Menschen auch durch die von Gott unterschiedlich bestimmte vegane Ernährung. Sie soll das Trennende zwischen Mensch und Tier hervorheben, wie dies auch aus Gen. 2 hervorgeht. Denn dort wird die Sonderstellung des androgynen Adam-Menschen dadurch bestätigt, dass Gott dem Adam-Menschen Baumfrüchte zuweist, während die Ernährung der nach dem Adam-Menschen geschaffenen Tiere keinerlei Erwähnung findet. Weil die Tiere Adam keine Hilfe sind, da sie seinem Wesen nicht entsprechen, erschafft (der Allwissende?) Gott in einem zweiten Versuch Eva. Die nach den Tieren aus Adam geschaffene Eva teilt zwar die Nahrung des Adam, doch ihre Stellung ist eher den Tieren nahe. Sie ist also nicht nur der zweite Versuch Gottes, sondern wird noch bis in die Neuzeit hinein dem Mann gegenüber als moralisch minderwertig angesehen, weil sie Adam zum Essen der verbotenen Frucht mit all seinen Folgen verführt hat.
„Hinter dem Mythos der Schlange, die nicht zu den von Gott geschaffenen Tieren des Feldes zählt (Gen. 3, 1), denn sie lebt am Stamm des Baumes mit der verbotenen Frucht, versteckt sich die uralte und unsterbliche Schlangengottheit namens Jaldabaoth, das bedeutete „Mädchen“. Die Pluralform dieses Wortes gab zu verstehen, dass sich in ihr vielfältige göttliche Kräfte vereinten. Die Wahl des Wortes Mädchen weist sie augenscheinlich noch besonders als eine der Großen Mütter, der jungfräulichen Gebärerinnen des Lebens aus. Es erschliesst uns weitere und ungeahnte Quellen zum Verständnis und zur Deutung der so lange missgedeuteten „Schlange des Paradieses“, diesem angeblichen Urbild satanischer Schlechtigkeit und sündhafter Verführungskünste.“
(12., S. 341)
5.2. Die Auswirkungen des menschlichen Sündenfalls auf die Tiere (Genesis 9)
Mit dem immer tieferen Fall des Menschen in die Sünde werden nichtmenschliche Tiere nun ausdrücklich zur erlaubten Nahrung des Menschen. Damit wird die Herrschaft des Menschen über die Tiere vollkommen. Der Bund, den Gott mit allen Lebewesen schliesst, bedeutet zugleich, dass sich Gott von der Erde, dem Menschen und den Tieren zurückzieht. Gott resigniert vor dem Willen des Menschen. Der einzige – vermeintlich wirksame – Schutz, den Gott für die Tiere einrichtet, besteht darin, dass sie fortan den Menschen fliehen sollen und dass dem Menschen der Verzehr von Fleisch, in dem noch Blut ist, untersagt ist. Auch hier wird die Vorrangstellung des Menschen ausdrücklich betont, denn Tiere dürfen kein Menschenblut vergiessen, ausnahmslos und unter keinen Umständen, also noch nicht einmal zur Selbstverteidigung. Ihnen bleibt nur die Flucht in Furcht und Schrecken vor dem Menschen. Angesichts der heutigen Verhältnisse, aus denen den Tieren meistens noch nicht einmal ansatzweise Flucht möglich ist, handelt es sich in Gen. 9 um eine anachronistische Vorstellung eines archaischen Gottes. An dieser Stelle spricht Gott selbst sein letztes Wort zur Ernährung des Menschen.
5.3. Bileams Eselin (4. Mose 22)
Die Eselin bleibt nicht nur einmal stehen, sondern dreimal, und wird deshalb dreimal immer heftiger von Bileam geschlagen, nachdem sie auf verschiedene Art und Weise versucht hatte, dem bewaffneten Engel, den nach der Geschichte nur sie sehen konnte, auszuweichen. Erst danach öffnet Gott Bileam die Augen, und er sieht ebenfalls den Weg durch den Engel versperrt. Die Frage aus tierrechtlicher Sicht ist nicht, ob die Eselin in jedem Fall richtig gehandelt hat, sondern ob Gott das getan hat. Er schaut zu, wie ein Tier gequält wird, das nicht anders handeln konnte. Die Rückschlüsse auf diesen Gott mag jeder selbst ziehen. „Die Schlange konnte im Paradies ebenfalls sprechen. Jesus trieb einmal Dämonen aus einem Menschen aus und gestattete ihnen, in Schweine zu fahren. Auch wenn dies kein Beispiel dafür ist, dass Dämonen aus Tieren sprechen, zeigt es doch, dass sich Dämonen mit der Tierwelt identifizieren können. Deswegen hatte vielleicht auch Bileam in der Vergangenheit bei seinen Kontakten mit der Geisterwelt sprechende Tiere erlebt. Doch diesmal sprach kein Dämon, sondern der HERR aus dem Tier“ (13., S. 295). Die Geschichte und die Kommentierung wollen uns sagen, dass Gott (oder Dämonen) Tiere benutzen können, sie sagen aber nicht, dass Tiere von sich aus mit Gott in Beziehung treten können. Eine tierrechtliche Deutung der Geschichte verbietet sich schon deswegen, weil anschliessend munter Stiere, Schafe und Widder geopfert werden (4. Mose 22,40 und 23,1 ff)
5.4. Das Neue Testament und der Apostel und Heidenmissionar Paulus
Im Neuen Testament finden sich ausserhalb der zur ethisch-religiösen Ernährung schweigenden Evangelien Stellen, in denen Paulus das Nichtessen von Fleisch als verzeihliche Schwäche hinstellt (Röm. 14, 1-4) und das Fleischessen nur dann verurteilt, wenn es nicht aus Überzeugung, dass Gott es erlaubt habe, geschieht (Röm. 14, 21-23).
Besonders deutlich des Apostels praktische Ausrichtung: „Wer pflanzt einen Weinberg und isst nicht von seinem Ertrag? Wer weidet eine Herde und trinkt nicht von der Milch der Herde? Im Gesetz des Mose steht doch: Du sollst dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen. Liegt denn Gott etwas an dem Ochsen? Sagt er das nicht offensichtlich unseretwegen? Ja, unseretwegen wurde es geschrieben.“ (1. Kor 9, 7-10)
„Alles ist erlaubt – aber nicht alles nützt.“
(1. Kor 10, 23)
„Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, das esst, ohne aus Gewissenhaftigkeit nachzuforschen.“
(1. Kor 10, 25)
Das ist die vom Heidenapostel Paulus gepriesene Freiheit des Christenmenschen, der nur mit Rücksicht auf den guten Ruf vom Fleischessen Abstand nehmen soll, dann, wenn sein Nächster an seinen Eßgewohnheiten Anstoß nimmt (1. Kor 10, 32), denn das nützt nicht den politischen Zielen.
Die Aussagen des Paulus dienen seinem politischen Bestreben zum Ausbau der christlichen Gemeinden in einer heidnischen Welt, die „Götzenopferfleisch“ isst, ändern aber nichts daran, dass auch in seinen Augen Tiere zum Nutzen des Menschen da sind. Was unter „Nutzen“ verstanden wird, wissen wir. So finden wir bei Paulus das anthropozentrische Weltbild der Genesis wieder, das im kirchenchristlichen Abendland bis heute seine volle Gültigkeit hat.
5.5. Die Prophetie Jesajas (AT) und deren Entwertung durch Paulus (NT)
Die Jahre, in denen der Prophet Jesaja in Israel weissagte, sind voller Kämpfe und drohendem Zerfall, sowohl politischer als auch geistlicher Art. Jesajas Botschaft an das Volk in Juda lautete, dass es nicht auf fremde Schutzmächte, sondern auf Gott vertrauen sollte, der ihm ein herrliches Königreich durch Mose und David verheißen hatte. In diesem messianischen Reich, das ein weltweites Friedensreich sein werde, gehört das „Mastvieh“ wie der fleischfressende Löwe einer vergangenen Zeit an, und „sich Löwen, die Gras (Stroh) fressen, vorzustellen, ist dann auch keine unüberwindliche Schwierigkeit mehr“ (15., S. 1056). Zu dieser Friedensverwirklichung gehört zunächst die vom Menschen geforderte absolute Beachtung des 5. Gebotes (Du sollst nicht töten!), und dieses Friedensgebot wird in Jesaja 66,3 kommentiert. (16., S. 73). Jesaja lehrt, dass Gott an keiner Gewalt des Menschen, auch nicht der zu kultischen Zwecken, Wohlgefallen habe. Deshalb gleiche der, der einen Stier schlachte dem, der einen Mann erschlägt usw.! Der Mensch soll den Frieden schaffen, dem die Tiere dann nachfolgen werden. Man erinnere sich dabei an die Schicksalsgemeinschaft zwischen Menschen und Tieren in der Genesis.
Dieses messianische Friedensreich steht gegen die Aussagen Gottes in Gen. 9 verloren da, denn das Wort des Propheten Jesaja steht gegen das Wort Gottes! Der christliche Glaube kann die ursprüngliche Anordnung Gottes in Gen. 1 (vegane Ernährung „und alles war sehr gut!“) dennoch wiederherstellen, sobald Christen die Erlösungstat des „Heilands“ J.Chr. nicht nur auf sich beschränken, was Kirchenchristen bisher fröhlich – und wahrscheinlich sogar nichtsahnend – tun, denn solche über den Menschen hinausreichenden Folgerungen verkünden ihre Kirchen nicht. Da J.Chr. den Riss, der seit dem Sündenfall durch die gesamte Schöpfung und eben nicht nur durch den Menschen ging, durch seinen Kreuzestod geheilt hat, ist der alte Zustand vor dem Sündenfall wieder hergestellt, so dass der Mensch nun wieder zum absoluten Friedenhalten auch in seiner Ernährung aufgerufen ist. Wer diese logische Folge trotz Kenntnis der Umstände nicht anerkennt, müßte die Erlösungstat zumindest als partiell fehlgeschlagen ansehen, als mission impossible des Herrn.
Gerade die Rückkehr J.Chr. nach vollbrachter Heilstat an die Seite seines göttlichen Vaters, neben dem er nach christlicher Lehre von Urbeginn an saß, geböte also den Gläubigen, die ursprünglichen Anordnungen ihres Gottes in Gen. 1 in die Tat umzusetzen und den göttlich gebotenen Veganismus wieder aufzunehmen, die Erlösungstat zu vollenden, um das Friedensreich auf Erden zu schaffen. „Siehe, ich mache alles wieder Neu!“, bedeutet eben nicht, dass J.Chr. bei seiner Rückkehr zum Vater mitten im Bibelgeschehen stecken geblieben ist! Das Friedensreich der Genesis bedeutet aber noch lange keine Tierrechte – es bedeutet lediglich, dass Christen nun generell nicht mehr töten dürfen und dass dem friedlichen Menschen auch die fleischfressenden Tiere nachfolgen werden und wieder zu ihrer von Gott am Anfang befohlenen Nahrung zurückkehren werden. Das hat der gläubige Christ der Bibel zu glauben, danach hat er sich zu richten, auch wenn ihm das irrational erscheint. Der sich vegan ernährende Mensch dürfte demnach Tiere benutzen, solange er Tiere nicht tötet oder Gewalt gegen sie anwendet. Die Sonderstellung des Menschen im Verhältnis zu Gott wäre damit nicht beseitigt. Den Menschen ruft Gott in der Genesis beim Namen, nicht die Tiere. Diesen soll der Mensch Namen geben. Gott schont den schuldigen Menschen nach dem Sündenfall mehr als die daran unschuldigen Tiere, wie das deutlich aus Gen. 9 hervorgeht. Verschiedene tierfreundliche Theologen versuchen nun, die Sonderstellung des Menschen von einer Herren- in eine Dienerstellung, und damit in eine ursprünglich gewollte bloße Heger- und Pflegerstellung gegenüber den Tieren umzudeuten, doch scheitert das m.E. nicht nur an den klaren Aussagen in Gen. 9, die die Sonderstellung des Menschen neben den Aussagen in Gen. 1, 2 noch einmal betonen. Denn in Gen. 9 will Gott den Menschen nur für das sog. – nichtgerechtfertigte – Töten der Tiere (in denen noch Blut ist!) zur Rechenschaft ziehen. Hingegen unterliegen Tiere bei jeglicher Tötung eines Menschen einer vollständigen Rechenschaftspflicht. Das widerspricht nicht nur dem Gerechtigkeitsempfinden – denn schließlich löste der Mensch nach der Bibel den Riß in der Schöpfung aus und sorgte damit dafür, dass nicht nur er selbst, sondern auch die Tiere zu Fleischessern wurden – sondern auch logischen Grundsätzen, wonach ein Verwalter, der Mensch, und nicht die Verwalteten, die Tiere, volle Rechenschaft gegenüber dem Auftraggeber Gott abzulegen hätte. Hingegen wurden Herrenmenschen schon immer besser behandelt als bloße Verwalter. Will man Gottvater, er agiert im Alten Testament, während sein Sohn J.Chr. seine weltliche Vorstellung erst später gibt, nicht als unlogisch handelnden Gott ansehen, kann m.E. die biblische Sonderstellung des Menschen nur so gedeutet werden, wie sie von Anfang an vorgesehen war: Als Stellung des von Gott erhobenen Ebenbildes mit abgeleiteten besonderen menschlichen Rechten gegenüber den Tieren! Diese Herrschaft war gewaltfrei gedacht, doch schloss sie die friedliche Nutzung der Tiere zu Zwecken außerhalb der veganen Ernährung nicht aus. Damit haben Tiere aber keine Tierrechte – sie sind nicht ihr eigener Zweck, sondern immer noch Mittel für menschliche Bedürfnisse – und sei es nur zur Freude des Menschen. Denn aus diesem Grunde wurden sie auch nach Gen. 2 für den Menschen ursprünglich geschaffen – um ihm in seiner Einsamkeit Gefährte zu sein.
Kirchenchristen lassen sich ganz maßgeblich von Paulus leiten. Zwar harrt die Schöpfung sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes (Röm. 8,19), doch für einen Paulus bedeutet das keineswegs, das Tötungsverbot auch gegenüber nichtmenschlichen Tieren beachten zu müssen. Nach seiner Ansicht können ihn und seine Anhänger „nichts noch irgendeine andere Kreatur“ von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus, unserem Herrn ist (Röm. 8, 38-39), scheiden. Luther wurde durch diese Paulussentenzen in seiner Theologie sehr angeregt: Anstrengen muss man sich nicht mehr, man ist ja schon durch die Erlösungstat von J.Chr. am Kreuz und den Glauben an ihn gerechtfertigt.
„Ist das keine herrliche Religion?! Sind die Tempel (der sog. Heiden) „gut gebaut“ braucht man das Teufelswerk gar nicht zu schleifen, nein, dann kann es als Gotteswerk dienen. Nur die „Götzenbilder“ muss man zerstören; alte Idole raus, neue rein. Und auch die vielen Ochsen können ruhig verbluten, fort und fort – als hätte gerade diese (christliche) Religion je etwas gegen das Schlachten gehabt, der Tiere wie der Menschen: nirgends wurde mehr geschlachtet!“
(17., S. 201)
Nach Paulus ist dem gläubigen Christen alles erlaubt, daher kann er alles konsumieren oder es lassen. Was dem Gläubigen nutzt, das bestimmt er in (Gewissens-) Freiheit selbst.
Ein herrlicher Freibrief zudem für alle diejenigen, die kraft Reichtums und Macht auch äußerlich freier sind als andere! Nachdem Augustinus und später T.v. Aquin den Tieren eine unsterbliche Seele abgesprochen hatten, konnten Gläubige Tiere herzhaft weiter ausnutzen. Tiere konnten nach dem Willen der Großkirchen bis heute ihre unsterbliche Seele nicht wiederfinden. Tierrechte? Wohl auch hier eher ein doppellegiertes Tierschutz- und Tiernutz-Verhältnis! Dennoch könnte man auch mit Paulus argumentieren: Alles ist erlaubt – was nützt? Es steht aber inzwischen fest, dass die Nutztierhaltung nicht nutzt, sondern schadet (dem Klima, der menschlichen Gesundheit). Das ist zwar nicht tierrechtlerisch, aber immerhin. Kirchenchristen sollten sich daher fragen, ob es ihnen erlaubt ist, das Friedensreich zu verhindern (alles seufzt nach Erlösung!).
5.6. Weitere Beispiele von L. aus dem NT
* Das Gleichnis vom verlorenen Schaf hat keinen tierrechtlichen Ansatz, wie das aus den nachfolgenden Gleichnissen von der verlorenen Münze und dem verlorenen Sohn hervorgeht. Es geht nicht um das tierliche Individuum, sondern um jeden einzelnen Sünder, der umkehrt (Lk. 15,10), zumal wenn hinterher, wie beim Gleichnis vom verlorenen Sohn vor lauter Freude über dessen Rückkehr ein Mastkalb geschlachtet wird.
* Jesu Austreibung der Händler aus dem Tempel ist als symbolischer Akt zu werten. Jesus versuchte danach zeichenhaft, den Tempelkult aufzuheben. Die Aufhebung geschah nicht, um den Tempelkult zu reformieren oder seine weitere Profanisierung zu stoppen, sondern um einem ganz neuen Tempel, dem eschatologischen und damit von Gott erwarteten, Platz zu machen. (18., S.117)
6. Beispiele von L. aus der Kirchengeschichte
6.1. Franz von Assisi
Wenn die Autorin aus der Kirchengeschichte als Beispiel für tierliche Wertschätzung Franz v. A. anführt, gleichzeitig aber das Fleischessen des Heiligen nicht nachvollziehen kann, können vielleicht nachfolgende, nicht von einem Kirchenkritiker stammende Erklärungen die Verständnislücke schließen. Das Leben des Heiligen ist von tiefstem Gehorsam gegenüber den Autoritäten der strafgewaltigen Kirche geprägt. Er wird innerhalb der Kirchen nicht in erster Linie als Tierschützer, sondern als Retter der Kirche wahrgenommen. Seine Rettungstat bestand darin, reformerische Ansätze (die auch viele andere hatten) mit absolutem Gehorsam gegenüber dem Papst zu verbinden – kein sehr überzeugender Zeuge für Menschen also, die sich als hierarchiekritisch begreifen. Assisis Liebesfähigkeit ist ungesund an diese Unterwürfigkeit gebunden, und so verwundern nachfolgende Passagen nicht, die psychologische Einblicke in das Seelenleben eines kirchlichen Parteigängers geben.
„Franz brachte es fertig, ein Rotkehlchen zu verfluchen, weil es Schwachen das Futter fortnahm, und eine Sau zu verdammen, weil sie ein Lämmchen anfiel. Ameisen mochte er nicht, weil sie, Vorräte für den Winter sammelnd, zu wenig auf die Vorsehung vertrauen. Daß er nicht alle Geschöpfe Gottes liebte, zeigt auch seine Gewohnheit, gewisse Tiernamen als Schimpfworte zu verwenden: Klatschbasen nannte er „beißende Flöhe“,… Münzen hieß er verächtlich „Fliegen“, wahrscheinlich, weil die Fliege als Sinnbild des Teufels galt. Wir finden überhaupt das Verhältnis des heiligen Franz zu den Geschöpfen stark von jener moralisch-mystischen Natursymbolik geprägt, die schon die Bibel durchzieht und die durch den Physiologus Gemeingut des Mittelalters geworden ist. Franz liebte besonders jene Geschöpfe, in denen er in irgendeiner Weise ein Sinnbild Gottes oder des Ordens sah. Die Haubenlerche war ihm ein Symbol des Mönchs, ein Fels erinnerte ihn an den heiligen Petrus, ein Baum an das Kreuzesholz, ein Schaf an das Lamm Gottes… (19., S. 411). Als der Guardian ihm ein Fuchsfell anbot, damit er es seines Leidens wegen unter der Kutte auf der Magengegend trage, bestand Franz darauf, daß, wie auf der Innenseite des Kleides auch außen ein Stück Fell aufgenäht werde, „damit er äußerlich nicht anders erscheine als er inwendig ist“. Eine Predigt begann er mit den Worten: „Ihr haltet mich für einen heiligen Mann und seid deshalb mit solcher Andacht hierhergekommen. Aber ich gestehe euch, ich habe diese ganzen Fasten hindurch mit Speck bereitete Speisen genossen… Als er nach der Genesung gegen Assisi ging und zum Stadttor gelangt war, befahl er dem begleitenden Bruder, ihm einen Strick um den Hals zu legen. So mußte der Bruder unseren Heiligen durch die Stadt führen und mit lauter Stimme rufen: „Seht da den Schlemmer! Heimlich hat er sich mit Hühnerfleisch gemästet, ohne daß ihr es wußtet.“ (19., S. 407). „Alles andere als Schlaffheit verraten jene Bestimmungen im Testament des Heiligen, in denen er befiehlt, Brüder, die nicht „gute Katholiken“ sind, gefangenzuhalten und der Kirche auszuliefern. Franz als Handlanger der Inquisition? Das ist eine Vorstellung, die mancher Freund des Heiligen von Assisi als unmöglich abweisen wird. Tatsächlich war Franz ein scharfer und notorischer Gegner der Katharer und Waldenser. In den Städten, denen er sich näherte, machten sich die Häretiker schleunigst aus dem Staube. Sein Hauptbestreben war, daß der Glaube der römischen Kirche bewahrt und hochgehalten werde.“
(19., S. 409)
6.2. Die Katharer
Von Franz v. A. ausgehend findet sich auch ein eleganter Übergang zu den Katharern, die die Autorin freundlich als Bewegung bezeichnet. Tatsächlich handelte es sich um eine „Sekte“, mit „im Kern unchristlichen Lehren“ (20., S. 1193). L. hängt ihrem institutionell geprägten Denken stärker an, als sie das vielleicht selbst weiß. Das von ihr verteufelte Universelle Leben hat mit den von ihr gelobten Katharern weit mehr Gemeinsamkeiten als die evangelische Landeskirche, der sie angehört. Ihre Analyse, aus welchen Gründen die christliche Kirche die Katharer ablehnen und verfolgen musste, trifft weitgehend auf das heutige Verhältnis der christlichen Kirchen zum Universellen Leben zu.
Um die Armutsbewegungen, die im 11. Jahrhundert als reformatorisches Gegengewicht zur immer reicheren und mächtigeren Catholika erstmals hervortraten, erst recht im 12. Jahrhundert bei noch wachsendem Elend der Massen, und um die immer stärker hervortretenden häretischen Strömungen zu unterbinden, duldete Papst Innozenz III. nun auch das Wanderpredigertum, das Apostolat der Armen, ja, er griff zur List. Er installierte die Dominikaner als Wanderprediger, und es gelang ihm auch echte arme Wanderprediger wie Franziskus und die Franziskaner an Rom zu binden, sie in der Kirche zu etablieren, „was der Armutsbewegung zwar Auftrieb gab, ihre kritischen Impulse jedoch beträchtlich schwächte – der Sinn der Sache… „Man kam wie die Geistlichen der Katharer, man predigte in ihrer Art. Doch die neue alte Bauernfängerei verfing dort nicht.“(21., S.138) Dominikaner wie Franziskaner, beide Bettelorden, gehörten zu den päpstlichen Inquisitoren.
„Der Name Katharer (katharoi = die Reinen) für „Ketzer“ taucht im Westen erstmals 1163 auf – und grotesk genug, doch bezeichnend für die alles auf den Kopf stellende Kirche, dass sie aus dem Namen „die Reinen“ – den Begriff des Gegenteils gebildet hat, des Unreinen, Befleckten, Bösen, Satanischen. Die Katharer selbst nannten sich gewöhnlich „Christen“ oder „Wahre Christen“, „Gute Christen“, „Gute Christinnen“, „Gute Leute“. Mittelbar gehen sie wohl auf die spätantike Gnosis, auf Manichäer zurück, die schon im 5. Jahrhundert der hl. Papst und Kirchenlehrer Leo I. „der Große“ im Verein mit dem christlichen Staat derart brutal bekämpft, dass der Manichäismus im Laufe des 6. Jahrhunderts im Westen verschwindet. Vielleicht knüpften die Katharer auch an die Messalinier oder die Paulikianer an, eventuell eine Filiation der Manichäer oder Anhänger des Apostels Paulus. Sicher aber kommen die Katharer gradlinig von den Bogomilen her… Die Theologie der Bogomilen war, wie dann die des Katharismus, stark dualistisch geprägt und reichte über den spätantiken Manichäismus und Gnostizismus zurück bis zu dem altiranischen Propheten und Religionsstifter Zarathustra. Die Bogomilen verwarfen das alte Testament, die Kreuz-, Reliquien-, Ikonenverehrung, die Bilder der Jungfrau Maria, verwarfen die Wunder, die Sakramente, Liturgie, die Gotteshäuser und die ganze klerikale Rangordnung, den Reichtum, die Ruchlosigkeit, die Unzucht der Katholiken… Sie prangern die Reichen an,… , und sie verbieten allen Sklaven, dem Gebot ihrer Herren zu folgen… Was die Menschen anzog war nicht so sehr der Glaube der Katharer als ihr Leben, vor allem das persönliche Vorbild ihrer Führer… Die Sympathie des elend geschröpften Volkes hatten die armen asketischen „Ketzer“ doch fast im vornherein.“
(21., S.123 ff)
„Die Katharer führten ihre Gemeinschaft auf Christus und das Neue Testament zurück… Sie hielten ihn weder für einen Sohn Gottes noch für die zweite Person der Trinität … Sie schätzten Jesu Botschaft, nicht sein Sein. Die Existenz einer jenseitigen Hölle bestritten sie, glaubten aber an Seelenwanderung, wobei die Kette der Wiedergeburten in verschiedenen Körpern für sie jedoch eine Art Hölle war. Sie verwarfen den größten Teil des Alten Testaments, verwarfen besonders scharf den ganzen kultischen Hokuspokus der Catholika einschließlich der Heiligen- und Reliquienverehrung. Die Kirchenbilder hielten sie für „Götzendienerei“, die Glockentürme nannten sie die „Trompeten der Teufel“. Auch die Sakramente erschienen ihnen als Satansdienst. Freilich hatten sie wieder selbst ein Sakrament, einen Initiationsritus… Es bedeutete eine Art Taufe – keine mit Wasser, sondern mit Licht (Gnosis, Erkenntnis)… Dreimal wöchentlich sowie während besonderer Bußperioden aßen sie nur Brot und Wasser. Sie genossen nie Zeugungsprodukte: Fleisch, Eier, Milch, Käse (doch Fische, die man aus dem Wasser entstanden dachte)…Sie verdammten nicht nur jegliche Gewaltsamkeit, nicht nur Kriegsdienst, nicht nur Notwehr, nicht nur jegliches Töten, sondern die Ausübung jeder Macht, da ja jede irdische Macht für sie vom Teufel stammte, was ja vieles für sich hat, viel mehr als das Gegenteil, die paulinische Obrigkeitslehre… Auch Frauen durften predigen und theologische Fragen diskutieren. Die „Vollkommene“ war dem „Vollkommenen“ gleichgestellt. Man lebte in klosterähnlichen Gebäuden, in Männer- und Frauenhäusern … Der römischen Kirche sprach man jede Legitimation spätestens seit der Zeit des ersten christlichen Kaisers ab, als aus der Kirche der Verfolgten die Kirche der Verfolger wurde.“
(21., S.127 ff)
6.3. Von L. vergessen?
Zur Beantwortung der Frage, was christliche Ethik im Ursprung gemeint hat, hätte sich ein Blick auf die Lebensweise der frühen Christen angeboten. „Die frühen Christen lehnten den Militärdienst wie den Krieg ab. Selbst die Jäger mussten entweder das Jagen aufgeben oder konnten keine Christen werden. Das Tötungsverbot galt allgemein bis zum 4. Jahrhundert, da die frühe (noch nicht mächtige) Kirche Liebe und Töten für unvereinbar hielt.“ (22., S.504)
Liegt auch darin der Grund, warum die jagdfreudigen Sektenbeauftragten der evangelischen Kirche sich gegen das UL besonders hervortun? Denn dessen Gläubige halten an der Bergpredigt (NT) und am Dekalog (10 Gebote, AT) fest. Sie lehnen Gewalt ab, weil sie wie die frühen Christen Liebe und Töten für unvereinbar halten, und deshalb schließen sie in das Tötungsverbot ganz konsequent die nichtmenschlichen Tiere mit ein. Denn wer den Vatergott als reine Liebe sieht, der tötet, quält und verfolgt keine Mitgeschöpfe, und er beteiligt sich auch nicht daran. Damit unterscheidet sich das Gottesbild dieser Christen ganz maßgeblich vom kirchenchristlichen Gottesbild.
Fazit
Die Bibel liefert für Tierschutz, Artenschutz, Umweltschutz und andere für den Menschen nützliche Dinge auslegungsfähige Grundlagen. Sogar eine Aufforderung zum Veganismus lässt sich ihr ableiten. Tierrechte kann man mit der Bibel jedoch bei intellektuell redlichem Vorgehen nicht begründen.
Das Dilemma, in dem sich L. und andere „gute“ Christen befinden, liegt darin, dass sie inzwischen ein höheres ethisches Niveau erreicht haben als ihr biblischer Gott. Bei L. führt das zu Positionen, die aus der Sicht ihrer christlichen Kirche ketzerisch sind. Natürlich kann man auch (oder gerade) mit Ketzern konstruktive Gespräche führen. Wer aber in der eigenen Kirche absolute Minderheitspositionen vertritt, sollte von nicht begründeten Verurteilungen anderer ethisch bemühter Außenseiter absehen, deren Glauben dem eigenen möglicherweise mehr ähnelt als der des durchschnittlichen Kirchenchristen.
© Barbara Hohensee, Januar 2008
Literaturverzeichnis
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