Aus dem Tagebuch einer Tierschützerin 28. November
Stress einer Frau
Heute war eine Tierschutzkonferenz in der ehrenwerten Antwaltskammer von Barcelona angesagt und da “frau” ja nicht hinter all den Nadelstreifenanzug und Kostüm bekleideten Redner zurückstehen möchte, hatte ich am Vortag schon entsprechende Kleidung für mich hergerichtet. Frisch gewaschen und gebügelt, versteht sich von selbst. Schließlich müssen wir auch endlich mal mit diesem länderübergreifendem Klischee aufräumen, dass es sich bei Tierschützern nur um ein paar Hippies, Punkies, Bob Marley-Anhänger oder sonstigem Freaky-Volk handelt. Wir sind einfach ganz normale Leute, die sich durch alle Gesellschaftsschichten ziehen.
Ich lag gut in der Zeit. Hunde waren schon ausgeführt, Katzenkisten mit sauberem Sand gefüllt, alle hatten Futter und Wasser. Ok. Schnell unter die Dusche, danach rein in die Klamotten. Ich schlüpfe behende in die lila Bluse (bisschen Farbe muss sein) mit klassischem Schnitt, beginne sie zuzuknöpfen………. ?????? Nanu?????? Genau da, wo die Rippen aufhören und eigentlich meine Wespentaille beginnt, besser gesagt: begann, ging auf einmal nichts mehr. ????? Die Knöpfe bekam ich zwar zu, doch jeder tiefere Atemzug hätten sie in gefährliche Wurfgeschosse verwandelt.
Meine Wespentaille hatte sich still und heimlich in eine Hummeltaille verwandelt. Wie ist denn das passiert? Wieso hab ich davon nix gemerkt? Da ich schon ein bisschen im Zeitdruck war, stellte ich im Moment keine weiteren Überlegungen darüber an und zog mir erst mal die Hose über. Alles ging soweit gut, bis ich den Reißverschluss und den Knopf schließen wollte.
Das gibts doch nicht!!!! So kann ich doch nicht außer Haus. Ich seh aus wie ne Bauernleberwurst. Verdammt. Mit einem gestressten Seitenblick auf die Uhr hetzte ich in das Zimmer, in dem sich noch immer die Nachwehen des vor Monaten stattgefundenen Umzugs befanden. Kartons. Kartons und Koffer voller Kleider. Und ich wusste nicht, wo was war.
Ich hatte dem Auspacken meiner Bekleidung keine große Beachtung geschenkt, bis zu diesem Moment, da ich ja eh die meiste Zeit zuhause bin und da tut es ja auch nette aber bequeme Sportbekleidung. Da lag des Rätsels Lösung über das Verbleiben meiner Wespentaille vergraben: „Bequem“. Jaja. Solange nix zwickt, kann man sich ja ruhig am Innern des Kühlschranks und der Knabberschublade gütlich tun.
Ich begann die Kartons und Koffer zu durchwühlen und fand alte Bekannte wieder. Aha. Das lange Jeanskleid (auch klassischer Schnitt) da. Das dürfte mir passen. Das war mir immer ein klein wenig zu weit gewesen. Aber logischerweise war es nach Monaten dunklen Vergessens in diesem Karton vollkommen verknittert.
Also nix wie raus mit dem Bügelbrett und dem Bügeleisen. Flott wollte ich es bügeln, aber wer zerknitterten Jeansstoff kennt, weiß, dass das leider nicht sooooo schnell vorangeht. Endlich wars soweit. Ich schlüpfe hinein und bekomme fast einen Anfall. Die Knöpfe spannten, alles spannte. So langsam wurde ich fuchsteufelswild. Gleich morgen werd ich ne Diät beginnen.
In meinem Leben hab ich noch keine einzige Diät gemacht, aber jetzt werd ich wohl dran glauben müssen. Genervt rase ich wieder zu den Kartons hinüber und wühle weiter. Aha, da haben wir ja noch ein Kleid. Bevor ich es bügle, zieh ich es schnell mal über. Für den Fall, dass es mir auch nicht mehr passt. Klar, wie sollte es mir auch passen? Mit dieser Hummeltaille wird mir nichts mehr an meinen Kleider passen.
Da fiel mir ein Rock ein, der wie alle modernen Hosen und Röcke weit unterhalb der Taille geschlossen wurde. Wo war der aber nur? Es begann ein erneutes Gewühle in Kartons und Koffern. Zwischendurch konnte man Gegrunze und Seufzen und unterdrücktes Fluchen meinerseits hören. Endlich!!! Ich probierte ihn an. Passt. Übers Bügelbrett und fertig. Und was zieh ich jetzt obenrum an?
Das große Rätselraten. Farblich muss es passen. Im Stil sowieso und meine nicht mehr vorhandene Wespentaille irgendwie kaschieren. Hastig suchte ich zwischen den ganzen Bügeln. Ja, die Blusen und T-Shirts hingen alle schon schön aufgereiht an der Stange. Diese hier? Nee. Vielleicht ein T-Shirt? Auch nicht. Schließlich geh ich nicht zu einem Kaffeekränzchen sondern zu einer wichtigen Konferenz. Endlich hatte ich einige Stücke in die engere Wahl gezogen, rannte damit zum Bügelbrett und plättete in Windeseile alles durch.
Die Uhr ermahnte mich. Trotzdem musste ich erst mal durchprobieren, was mir noch passt. Die braune Wickelbluse. Klar, die konnte ich so wickeln, dass sie sich an meine verformte Taille anpasste. Ins Bad. Mein Spiegelbild beschenkte mich mit diesem „Wie siehst duuuuu denn heute wieder aus“-Blick. Logisch, bei dem Stress am frühen Morgen. Also schnell ein bisschen Farbe ins Gesicht mit all diesen kleinen Utensilien, die in keinem Kulturbeutelchen einer Dame fehlen dürfen. Fehlen sollten. Ein paar Spritzer Chanel und schon war die Verwandlung perfekt.
Danach die Haare. Heute wollte aber auch nix klappen. Irgendwie wollten sich heute die Haare nicht locker flockig zusammenstecken lassen. Nach dem vierten Anlauf ließ ich genervt die Arme sinken. Griff zur Bürste: heute wird das Haar offen getragen und basta.
Rein in die Schuhe, schnappe meinen Rucksack, letzter Blick über das von mir hinterlassene Chaos, in dem sich gemütlich alle meine Vierbeiner räkelten. Klar, so ein paar offene Kleiderkartons sind für Katzen das reinste Paradies. Da lässt es sich herrlich warm und bequem schlafen und so nebenbei kann man auch noch mit ein paar Knöpfen an dem teuren Seidenrock spielen.
Rein ins Auto, mir blieb noch eine Stunde bis zum Beginn der Konferenz. Ob ich das wohl schaffe? Ich wollte so gern noch mit den ganzen Tierschutzkollegen vor dem Konferenzbeginn plaudern. Man trifft sich ja sonst nicht. Alles läuft über Mails.
Ich verlange von meinem alten Auto alles ab: mit 120 Sachen brause ich über die Autobahn hinweg, begleitet von dem Klappern, Quietschen und sonstigen Geräuschen, die die Besitzer von alten Autos immer argwöhnisch aufhorchen lassen. Denn meist steht dann immer ein Besuch in der Autowerkstatt kurz bevor.
Eine lange Kurve beginnt. Ich liege gut in der Zeit. Als ich aus der Kurve herauskomme, sehe ich, wie sich weiter vorn ein Stau gebildet hat. Oh nein. Drei Autobahnspuren mit stehenden Autos. Oh Mann. Hätte ich heute morgen nicht diesen Kleiderstress gehabt, hätte ich noch meine Wespentaille, wäre ich jetzt schon längst in der Anwaltskammer. Mist. Mist. Mist.
10 Minuten Stop-and-Go bis zur nächsten Ausfahrt. Gewitzt wie ich bin, brause ich davon. Mit triumphierenden Blick auf die gestauten Autos. 21 Jahre in dieser Gegend erwiesen sich hier von Vorteil. „Frau“ weiß genau, wohin sie die Reifen ihres alten Wagen lenken muss, um auch so ans Ziel zu kommen. Hihi.
Da hatte ich aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Baustellen. Eine nach der anderen. Die zwei Orte vor Barcelona waren eine einzige Baustelle. Super. Dazu muss ich erwähnen, dass die beiden Vororte, Badalona und Santa Coloma, fließend ineinander übergehen und dann irgendwann mal mit Barcelona verschmelzen. Was heißen soll: es ist einfach eine riesengroße Stadt mit vielen Straßen. Und da passen natürlich Baustellen hinein. Noch und nöcher.
Mein rechter Augenwinkel behielt die Armaturenbrettuhr unter ständiger Beobachtung, während der Rest meiner Augen sich einen Weg durch dieses ganz normale Verkehrschaos, verursacht durch die vielen Baustellen, suchte. Weiter vorn waren die Ampeln aus. Na super. Wenn in Spanien schon der ganz normale Verkehr ein einziges Chaos ist, wenn dann aber die Ampeln ausfallen……….. seufz.
Langsam komme ich näher. Ach wie nett. Heute haben die zukünftigen Stadtpolizisten praktische Prüfung und müssen ihren Prüfern zeigen, dass sie wissen, wie man mitten in Barcelona den Verkehr ohne Ampeln dirigiert. Hätten die das nicht an einem anderen Tag machen können? Ausgerechnet heute, wo ich spät dran bin. Na, pünktlich bin ich jetzt eh nicht mehr. Mist. Ich hasse es, zu spät zu kommen. Daran konnten auch 21 Jahre Spanien nichts ändern. Nix mit Anpassung an die hiesigen Gepflogenheiten.
Endlich finde ich ein Parkhaus ganz in der Nähe der Anwaltskammer, hetze die paar Meter in größter Eile, mit wehenden Rockzipfeln und ebenso wehendem Haupthaar über die Gehwege, hinein und hoch ins 8. Stockwerk. Aber über die Treppe. Nein, nicht wegen meiner verlorenen Wespentaille, sondern weil ich zweimal in Aufzügen steckengeblieben bin und mich keine zehn Pferde noch einmal wieder in so ein winziges Behältnis bringen. Außerdem ist Treppensteigen gut fürs Herz und überhaupt. Vor allem ein gutes Mittel gegen eine Hummeltaille.
Oben angekommen, entsprechend keuchend, logisch. Man ist ja auch keine 20 mehr. Obwohl, ich glaube, da mach ich manch Zwanzigjährigem noch was vor. 30 Jahre regelmäßiger Sport gehen schließlich auch nicht so ganz spurlos an einem vorüber.
Eine ruhige Stimme klingt an mein Ohr. Klar, die Konferenz hatte schon vor einer halben Stunde begonnen und die waren da jetzt mitten in den Vorträgen. Mist. Ich lasse meinen Blick über die mit dem Rücken zu mir sitzenden Zuhörer schweifen. Aha, da vorn saß Agnés Dufau. Eine Französin, mit der ich mich sehr gut verstehe. Nur noch vor ihr, in der allerersten Reihe war ein Platz frei, genau am Gang. Nun denn. Leisen Schrittes bewegte ich mich vorwärts, die Redner blickten mir entgegen. Zwei grüßten mit den Augen. Ich grüßte zurück. Auch mit den Augen. Wir kannten uns schon.
Ich muss dazu sagen, dass ich es immer vorziehe, in der ersten Reihe zu sitzen. Da kann man dann Blickkontakt zu den Rednern herstellen, zustimmend nicken, wenn er/sie etwas Kluges von sich gegeben hat, mit dem man selbst übereinstimmt. Oder schmunzeln oder gar lachen, wenn einem mal was Lustiges eingefallen ist. Das baut eine gewisse Brücke mit dem Menschen vor einem auf.
So ist es dann hinterher einfacher, sich der entsprechenden Person, dem Objekt meines Interesses, zu nähern und um eine Visitenkarte zu bitten oder gar eine Unterhaltung mit ihm/ihr zu beginnen. Ich muss dazu sagen, dass ich darin schon außerordentliche Fähigkeiten entwickelt habe. Ähnlich derer, die hinter Autogrammen herjagen. Ich jage hinter Visitenkarten her. Schließlich kommt man ja nicht alle Tage und vor allem nicht unsereins an Staranwälte heran, an Tagesschausprecher, an Schriftsteller oder Schauspieler. Und gerade solche Leute brauchen wir in unserem Kampf um die Rechte der Tiere. Ihre Gesichter kennt ein ganzes Volk und dem, was diese berühmten Persönlichkeiten sagen, wird man eher Glauben schenken als wenn das Carolinchen mit ihrer Hummeltaille sagt. Auch wenn beides inhaltlich übereinstimmt.
Inzwischen bin ich an der ersten Reihe angelangt, beuge etwas die Knie, lasse meinen Rucksack auf den Boden niedergleiten, genau neben dem freien Sitzplatz und bewege meinen rechten Fuß bzw. mein rechtes Bein vor den Sitz, um mich möglichst schnell zu setzen und den Konferenzteilnehmern nicht das Blickfeld auf die Politiker zu verwehren. Das heißt: ich wollte es tun. Aber mein Fuß hatte in der Vorwärtsbewegung einen Träger des inzwischen auf dem Boden, seitlich des Sitzes auf dem Gang ruhenden Rucksacks erfasst und mir drohte ein gefährlicher Fall vorwärts, direkt längs vor das Rednerpult.
Aber wie gesagt: 30 Jahre Sport gehen nicht so spurlos an einem vorüber und ich verfüge noch über einen ausgezeichneten Gleichgewichtssinn sowie Reflexe. Damit konnte ich das knapp bevorstehende Malheur zum Glück abwenden, indem ich mich so gut und so unbemerkt wie ich konnte so elegant wie möglich auf den Sitz gleiten ließ.
Der Rock war zum Glück bodenlang und so hatte wohl niemand bemerkt, dass mein Rucksack und ich für Sekunden miteinander gekämpft hatten. Mit Pokergesicht, lächelnd nach allen Seiten, Bekannte und Freunde mit den Augen grüßend, befreite ich mich langsam von der Rucksackfalle. Schnappte mir dann dieses hinterhältige und tückische Objekt mit festem Griff und holte mein Notizbuch samt Kugelschreiber heraus. Insgeheim schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel und ließ erst mal Luft ab. Oh Mann. Nicht auszudenken, wäre ich da längs vors Rednerpult hingeknallt. Peinlich. Aber wäre nix Neues. Irgendwie hab ich ein untrügliches Gefühl für solche Auftritte. Manchmal fühl ich mich wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich habe nichts gemein mit dieser elfengleichen Eleganz vieler Frauen, die scheinbar über dem Boden hinwegschweben oder hinwegstöckeln.
Jetzt holte ich erst einmal tief Luft und versuchte mich auf das, was da vorgetragen wurde, zu konzentrieren. Obwohl, meine Hummeltaille war ständig präsent. Da muss was getan werden. Und zwar schleunigst.
Noch eine Anmerkung zum Rucksack: es handelt sich um ein modisch, meist farblich abgestimmtes Teil. Nicht, dass da einer glaubt, ich spazier mit einem Wander- oder gar Bergrucksack durch die Gegend. Ich finde solche Behältnisse einfach praktischer als Handtaschen, wo manchmal nicht mal ein Kugelschreiber reinpasst. Geschweige denn ein Notizbuch. Außerdem hat man so im Null-Komma-Nichts die Hände frei und trägt trotzdem noch seine sieben Sachen bei sich. Auf dem Rücken nämlich. Und wie gesagt: es passt viel hinein. Eine Dose Katzenfutter hat immer noch Platz drin, ist er auch noch so voll, der Rucksack. Auch passt ein Findelkätzchen oder –vögelchen hinein. Ein kleiner Hundewelpe. Irgendwas geht immer.
Caroline