Von der Bedeutungslosigkeit des Stierkampfs
Bereits im Jahre 2008 wurde ich auf Herrn Fernando Álvarez aufmerksam, da seine Studie über die zweifelhafte Schützungswürdigkeit der dehesas (weite Weiden, die angeblich zur Kampfstierzucht dienen) als Gegenargument zu den Begründungen der Stierkampfbefürworter von Jenny Berenguer von FAADA im Europäischen Parlament vorgetragen wurde.
Immer wieder tauchten in der spanischen Presse Artikel geschrieben von Herrn Álvarez auf wie z.B. „Nueve razones para abolir los toros“ (Neun Gründe um die Stierkämpfe abzuschaffen) oder „Toros, subvenciones y niños“ (Stiere-Subventionen und Kinder).
Mich interessierte dieser Mann, dessen wertvolles Wissen als Biologe und Ethologe uns im Ringen um die Abschaffung der Stierkämpfe und Stierfeste sicher von großem Nutzen sein könnte. Inzwischen hat er auch schon ein Buch über das Thema Stiere, Stierkampf und Subventionen in dem er die Lügen der Stierkampfbefürworter entlarvt, geschrieben: „La verdad sobre los toros“ (Die Wahrheit über Stierkampf).
Den unten stehenden Artikel hat er auf mein Bitten für die Seiten SOS Galgos und Bye-Bye Bullfighting geschrieben, um den Lesern ausserhalb Spaniens das Problem und das recht umfangreiche Thema des Für und Widers des Stierkampfs nahezubringen.
Caroline Waggershauser
Von der Bedeutungslosigkeit des Stierkampfs
Den Befürwortern der fiesta der Stiere bleiben immer weniger Argumente um deren Fortbestehen in Spanien zu verteidigen. Wenn doch auf der einen Seite, laut Gentechnikspezialisten der Kampfstier nicht einmal die Bezeichnung als Rassetier verdient und auf der anderen Seite nicht einmal dieser angebliche Schutz der dehesas existiert, auf den sich die Kampfstierzuchten berufen, da besagte Auslastung durch die genannnte Stierzucht nur knappe 5 % ausmacht.
Zudem hat die Antropologie die lidia auf antike Überbleibsel von Geschicklichkeitsspielen herabgewürdigt, statt diese als ein Opferritual , anzusehen. Eine Interpretierung, auf die einige südamerikanische und spanische Schriftsteller zurückgreifen, um dem eigentlichen und banalen Spektakel einen Hauch von Feierlichkeit zu verleihen.
Auf der anderen Seite geht die Verteidigung der fiesta aus der Philosophie des moralischen Egoismus heraus nicht einher mit der steigenden Sensibilität der spanischen Gesellschafft für das Leiden der Tiere. Das armselige Argument, nach dem der Stier in der Arena nicht leidet, unterstützt durch eine „Studie“ die Beschämen hervorruft wenn man sie liest, kann nur für solche Personen glaubwürdig sein, die auch nicht nur eine Spur von kritischem Verstand haben. Daher greifen die Befürworter der Stierkämpfe auch nicht mehr darauf zurück.
Nachdem alle Argumente gefallen sind, bleibt den Verteidigern der fiesta nur noch das Zurückgreifen auf die Tradition (wie es scheint, jegliche Tradition, wie schlimm sie auch sei) und die Gewinne, die aus den Stierkämpfen hervorgehen, vor allem die staatlichen Subventionen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Verteidigung dieser Gewinne gerade die durchziehen, die am meisten daran verdienen: Stierzüchter, Geschäftsmänner, toreros und andere Berufszweige dieses Gewerbes.
Es verbleibt ein letztes Argument, obwohl es nicht einmal diese Bezeichnung verdient. Das Argument, dass jeder die Freiheit haben sollte, zu tun und lassen was ihm gefällt, z.B. ein Tier während eines öffentlichen Spektakels zu foltern und zu töten. Auch wenn es unmöglich erscheint, wurde diese Ausflucht sogar von einem Präsidenten einer kleinen Partei heraufbeschwört.
Ab dem 18. Jahrhundert verschwanden die fiestas, die Tierquälerei als Gegenstand hatten oder aber deren Grausamkeiten wurden vermindert, so wie in Italien, Portugal und auch größtenteils in Frankreich, wogegen aber die Stierkämpfe in Spanien und einigen Ländern mit spanischer Kultur weiter fortgesetzt wurden aufgrund der langen politischen Isolation und der daraus resultierenden geringeren Durchsetzung der Bildungsbewegung.
In der Geschichte Spaniens gab es immer Ablehnung gegen die Stierkämpfe und Personen mit mehr oder weniger Einfluss haben seit dem Mittelalter ihre Aversion dagegen gezeigt. Unter ihnen Persönlichkeiten aus Kirche und Kultur und sogar Könige (15. und 19. Jahrhundert), sodass die Stierkämpfe mehrere Male verboten wurden, obwohl sich die lidia seit der Wiedereinführung durch José Bonaparte (durch Bestätigung von Fernando VII) hält. Durch die Unterstützung, die das Regime der Francodiktatur den Stierkämpfen verlieh, erhöhten diese ihre Bedeutung, obwohl mit der Modernisierung Spaniens durch den Einzug der Demokratie die Bürger nach und nach das Interesse daran verloren.
Das sinkende Interesse für Stierkämpfe in der spanischen Bevölkerung spiegelt sich in den Resultaten von Meinungsumfragen, ausgeführt von der Firma Gallup, wider, in denen der Prozentsatz von 55 % der Stierkampfanhänger in den 60ger Jahren auf 50 % in den 80ger Jahren und auf 30 % in den 90ger Jahren sinkt.
Die, die kein Interesse für an Stierkämpfen haben, steigen im Jahr 2002 von 69% auf 72 % in 2006 bis auf 87 % im Jahre 2008.
Das Desinteresse ist besonders hoch bei Frauen (79%) und bei Jugendlichen (82%) und es scheint, dass Stierkämpfe mehr eine männliche Domäne ab 65 Jahren sind. Die Tatsache, dass nur ein 0,2 % der Befragten ihre Meinung nicht abgaben, gibt Aufschluss darauf, dass die Bevölkerung genau weiß, was sie will.
Obwohl die Öffentlichkeit nicht an Stierkämpfen interessiert ist, halten sie sich dank der indirekten Subventionen für Kampfstierzuchten künstlich am Leben. Da man sie verwaltungsmässig als extensive Nutztierhaltung eingeordnet hat, erhalten sie von der Europäischen Union und vom spanischen Staat 40% der öffentlichen Gelder, ohne die sie verschwinden würden.
Das Spektakel selbst erhält auch saftige staatliche Subventionen verschiedenster Art, die letzte besteht aus einer Herabsetzung der Mehrwertsteuer von 18% auf 8 %, weil der Stierkampf als Kunst eingestuft wird und die Zuständigkeit beim Kulturministerium liegt.
Zu guter Letzt und angesichts dessen, dass sich die Jugend vom Stierkampf abwendet, führt eine starke Gruppe Kampfstierzüchter und Geschäftsmänner eine aggressive Kampagne durch, um Jugendliche und sogar Kinder in die Welt des Stierkampfs zu locken und um so zu verhindern, dass es keinen Nachwuchs mehr gibt, was dem lukrativen Geschäft des Stierkampfs einen Strich durch die Rechnung machen würde.
Obwohl und im Einvernehmen mit den Statistiken, die Spanier sich nicht für den Stierkampf interessieren, hat die Lobby der Stierkampfbefürworter einen gewissen Erfolg hinsichtlich der Annäherung an die örtlichen, autonomen und staatlichen Verwaltungen sowie Universitäten und Schulen erreicht, denn diese arbeiten kräftig an der Kampagne mit.
Davon zeugt die Erlaubnis für unter 14jährige an Stierkämpfen teilzunehmen, etwas, das seit der Diktatur von Primo de Rivera verboten war. (Anm.: 1923-1930) Das Verschenken von Eintrittskarten für Stierkämpfe für Schüler zusammen mit ihren Lehrern geht sogar so weit, dass an einem Kindergarten in Extremadura ein Schlächter (torero) Vorträge halten sowie praktischen Unterricht im Stierkampf für vier- bis fünfjährige Kinder geben konnte.
Fernando Álvarez
Ethologe, Biologe, Forschungsprofessor im CSIC (Consejo Superior de Investigaciones Científicas)
Abteilung Ehologie und Artenvielfalt im Nationalpark Coto de Doñana