Der Tunnel
20/01/2013 Ruth Toledano
Der Tunnel
Die ausgesetzte Galga irrte drei Tage lang durch den Tunnel der U-Bahn von Madrid. Allein, verängstigt, verletzt. Zum ersten Mal wurde sie am Donnerstag um 24 Uhr gesehen und am nächsten Morgen um 8 Uhr begann eine Reihe von Personen (Mitglieder verschiedener Tierschutzorganisationen: Justicia Animal, Alba, Baas Galgo, El Hogar de Luci, Más Vida und SPAP) damit, sich um die Genehmigungen des Transportunternehmens zu bemühen, die eine Rettung der Galga ermöglichen würden. Man wusste, dass sie zwischen den U-Bahn-Stationen Sáinz de Baranda und Ibiza herumlief (zur Info: eine relativ kurze Strecke, da es zwischen diesen beiden Stationen keine weitere Station gibt). Es ging darum, auf die Gleise hinunterzugehen und das Verfahren anzuwenden, das die freiwilligen Helfer gut kennen: wenn ein ängstliches und hungriges Tier (ein Hund oder eine Katze) niemanden an sich heranlässt, stellt man sogenannte Lebendfallen auf, in die man Futter legt. Das Tier nähert sich schließlich dem Futter, wird gefangen und kann gerettet werden. Durch das Aufstellen dieser Fallen wird die Fahrt der Züge weder gestört noch unmöglich gemacht, denn die Tunnel der U-Bahn von Madrid haben Nischen in den Wänden, etwas zurückgesetzte Hohlräume, in die man die Galga ohne größere Gefahr hätte locken können.
Die Galga starb, nachdem sie von einem Zug überfahren worden war, der ihr ein Bein durchschnitten hatte. In einem anderen hatte sie tiefe Wunden. Sie rang mit dem Tod, verblutend, erstarrt, erschrocken, so allein wie noch nie. Sie starb, weil die Verantwortlichen der U-Bahn von Madrid nicht zuließen, dass erfahrene Personen tätig würden, um sie zu retten. Warum? Weil es nur eine Hündin war. Um 19 Uhr am Samstag meldet ein Fahrer, dass er die Galga neben den Gleisen hat liegen sehen, im Tunnel, etwa 100 oder 200 Meter von der Station Sáinz de Baranda entfernt. Man weiß nicht, ob sie noch lebt, auch wenn Metro de Madrid erklärt, sie sei „vermutlich tot“. Die freiwilligen Helferinnen bitten darum, dass man sie zu ihr lässt. Diese Erlaubnis wird ihnen erneut verweigert. Sie bitten darum, dass dann tierärztliche Nothelfer gehen dürfen oder wenigstens die Kräfte, die im Auftrag der Stadt Madrid Tiere von der Straße einsammeln. Sie bitten um Mitleid. Vielleicht kann man noch etwas tun. Metro de Madrid antwortet, dass dies erst ab 2.30 Uhr nachts möglich sein wird, wenn der Dienst im gesamten U-Bahn-Netz endet. Weitere sieben Stunden, bis man ihr helfen darf. Warum? Weil es nur eine Hündin ist.
Verzweifelt und ohnmächtig fassen Matilde Cubillo von Justicia Animal und Irene Mollá von Más Vida einen Entschluss: auf die Gleise gehen und die Galga aus dem Tunnel holen. Der Sicherheitschef warnt sie, dass dies nicht erlaubt ist und Konsequenzen haben wird. Mati und Irene sehen auf den Anzeigetafeln, dass der nächste Zug in 18 Minuten kommt. Sie haben Zeit. Sie springen. Sie gehen in den Tunnel. Sie haben nur das Licht ihrer Handys. Als sie auf den Bahnsteig zurückkehren, tragen sie die Galga in den Armen, mit einem Mantel bedeckt, um die Fahrgäste durch den Anblick nicht zu belästigen. Ihr Körper ist noch nicht starr, sie blutet immer noch.
Während die Personen, die auf die Gleise gesprungen sind, eine Strafe bekommen werden, werden verschiedene Tierschutzorganisationen Metro de Madrid wegen Tierquälerei anzeigen, da in ihren Anlagen und auf ihre Verantwortung die Hündin ohne Hilfe ihrem Todeskampf überlassen wurde. Ebenso wird die FAPAM (Föderation der Tierschutzorganisationen der Autonomen Gemeinschaft Madrid) vom Amt für Transporte verlangen, dass eine Handlungsanweisung für ähnliche Fälle erstellt wird. Aber außerdem haben viele Stimmen in den sozialen Netzwerken beklagt, dass die Mitarbeiter von Metro de Madrid nicht den Mut gehabt haben, die Anweisungen ihrer Vorgesetzten nicht zu befolgen und die Züge zwischen den Stationen von Sáinz de Baranda und Ibiza zu stoppen. Das hätte für sie Konsequenzen gehabt, aber wenn diejenige, die sich im Tunnel verlaufen hat und, mehr noch, mit dem Tod ringt, ein Mensch gewesen wäre, hätten sie es getan.
In diesem Fall hätten die Mitarbeiter wahrscheinlich gar nicht ungehorsam sein müssen, denn ihre Vorgesetzten hätten den Stopp der Züge, die Suche und die Rettung angeordnet, aber hier und jetzt geht es darum, über die Hypothese nachzudenken, dass es nicht so wäre: hätten die Mitarbeiter ihren Vorgesetzten auch auf die Gefahr hin gehorcht, einen Menschen zu überfahren? Hoffentlich können wir glauben, dass es nicht so wäre, dass sie ungehorsam gewesen wären, dass sie selbst auf die Gleise gesprungen und zu dem Menschen gerannt wären, um ihm zu helfen. Sie wären Helden geworden und die gesamte Gesellschaft hätte die Unmenschen verstoßen, die Anweisungen gegeben hätten, die im Widerspruch zur Hilfe, zum Mitleid, zur Solidarität, zur Güte, zum Mut gestanden hätten. Sie hätten uns alle besser gemacht. Aber es war ja nur eine Hündin. Eine arme, ausgesetzte Galga.
Metro de Madrid hat zu dieser Angelegenheit erklärt: „Wir bedauern, dass der Hund leblos aufgetaucht ist. Wir können euch versichern, dass zu jeder Zeit alles Mögliche unternommen worden ist, um ihn zu retten.“. Falsch. Was die Vorgesetzten getan haben, war, die Arbeit der Personen zu verhindern, die Experten für die Rettung von Tieren sind. Und die Mitarbeiter haben gehorcht. Dieselben Mitarbeiter, die sich trauen, ihre Züge anzuhalten, um ihr (legitimes) Recht auf Streik auszuüben. Oder gehorchen sie vielleicht Anweisungen ihrer Vorgesetzten, wenn sie streiken? Warum haben sie nicht die gleiche Entscheidung getroffen, um das Leben der Galga zu retten? Warum haben sie sich nicht getraut, ungehorsam zu sein?
In dieser unserer Welt, die von Missbrauch, Gefühllosigkeit, Ungerechtigkeit überschwemmt wird, muss unsere Revolution eine des Ungehorsams sein. Eine des Ungehorsams gegenüber den Anweisungen der Ungerechtigkeit. Eine, die sich der Gefühllosigkeit entgegenstellt. Die den Missbrauch bekämpft. Wie die Ärzte, die sich geweigert haben, die Anweisung, Menschen ohne Papiere nicht zu behandeln, zu befolgen. Wie die Beamten, die sich weigern, die Anweisung, Zwangsräumungen durchzuführen, zu befolgen. Es ist sehr einfach: wir wollen eine Welt, in der die U-Bahn anhält, um eine Hündin zu retten. Eine Welt, in der ein Mitarbeiter nicht nur für seine Bonuszahlung, sondern für das Leben einer Galga ein Risiko eingeht. Eine Welt, in der die Vorgesetzten ein Mindestmaß an Intelligenz haben, wenigstens so viel, dass sie merken, dass die Rettung einer ausgesetzten Hündin nicht nur eine moralische Pflicht ist, sondern ihnen auch Sympathien einbringen wird.
Diese Galga ist allein gestorben, verängstigt, verblutet in einem Tunnel, der das Symbol einer anderen Dunkelheit ist: der des Gewissens. Es war eine Galga ohne Chip, ohne Zuhause, eine der Tausenden, die von Jägern benutzt, missbraucht, ausgesetzt und ermordet werden. Ihre Rasse ist in unserem Land heimisch und ihre Situation ein weiteres Symbol: Schönheit, Edelmut, Treue wurden verachtet, überfahren, geraubt, in einen Tunnel geworfen. So wie alles andere: das ist es, woran uns unsere Vorgesetzten (auf dem Thron, in der Regierung, in der Firma) gewöhnen. Wenn wir nicht auf der Stelle anhalten und es verhindern, werden sie uns weiter berauben, verstümmeln, sterben lassen. Wir müssen ungehorsam sein. Auf die Gleise des Gewissens springen und die Züge dieser verfaulten Kultur stoppen. So wie Mati Cubillo und Irene Mollá. Nicht weiter grausame und ungerechte Anordnungen befolgen. Wenn wir es nicht tun, werden wir verlassen im Sterben liegen, sie werden uns in diesem Tunnel der moralischen Misere umbringen. So wie eine arme ausgesetzte Galga.
Ruth Toledano (spanische Journalistin und Dichterin)
Petition unterzeichnen:
Metro de Madrid: Justicia para la galga muerta en el metro de Madrid
Übersetzung des Textes auf der Petitionswebsite:
Petition gerichtet an: Metro de Madrid
Metro de Madrid: Gerechtigkeit für die in der U-Bahn von Madrid gestorbene Galga
Petición erstellt von
Silvia Bonmati
Barcelona, Spanien
Sehr geehrte Damen und Herren,
in Bezug auf die Galgohündin, die sich vor drei Tagen im U-Bahn-Netz von Madrid verlaufen hat und gestern Abend tot, überfahren, aufgefunden worden ist, möchte ich folgende Beschwerde zum Ausdruck bringen:
1.- Es ist inakzeptabel, dass, obwohl die Existenz einer Hündin auf den Gleisen der U-Bahn bekannt war, KEINE GEEIGNETEN Maßnahmen ERGRIFFEN WORDEN SIND, um ihre RETTUNG durchzuführen, wie etwa, nach Lokalisierung der Hündin, das Schließen der Tunnelausgänge in beiden Richtungen, um die Hündin beispielsweise auf der Strecke, auf der sie gesehen und aufgenommen wurde, einzufangen.
2.- Es ist inakzeptabel, dass die PASSIVITÄT UND GLEICHGÜLTIGKEIT, mit der die Verantwortlichen von Metro de Madrid diese Angelegenheit behandelt haben, bedauerlicherweise mit dem Tod der Hündin geendet haben.
3.- Es ist unerträglich, festzustellen, wie Tiere immer noch als Wesen ohne Gefühle gelten, ohne dass der Wert ihres Lebens von Bedeutung wäre.
Aus diesen Gründen und
unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Verkehrsbestimmungen vorschreiben, dass im Falle einer Anwesenheit auf den Gleisen die Tunnelbeleuchtung eingeschaltet und die Gleise in beiden Richtungen überprüft werden, indem man Züge ohne Fahrgäste und mit höchstens 10-15 Stundenkilometern fahren lässt, und dass der Dienst nicht wiederaufgenommen werden kann und darf, bis man absolut sicher ist, dass die Gleise frei von jeder Anwesenheit sind…
unter Berücksichtigung der Tatsache, dass andere ähnliche Fälle wie etwa 2001 in Barcelona, wo ein Schäferhund-Husky-Mischling auf die U-Bahn-Gleise gelaufen war, ein anderes Ende hatten: Hier wurde der Dienst von 2 Linien unterbrochen, um eine Rettung einzuleiten, die 3 Stunden dauerte und an der 5 Feuerwehrleute, mehrere Gemeindepolizisten, Metro-Mitarbeiter und ein Mitarbeiter des städtischen Tierheims teilnahmen. Der Hund wurde unversehrt eingefangen und nach dem obligatorischen Besuch beim Tierarzt in das städtische Tierheim gebracht. Dort wurde er auf den Namen „Metro“ getauft und der Stiftung Fundación Altarriba übergeben.
beschwere ich mich mit Nachdruck über diesen Mangel an SENSIBILITÄT und vor allem EFFEKTIVITÄT UND WILLEN, um die in der METRO DE MADRID verirrte Galgohündin zu SUCHEN, EINZUFANGEN und zu RETTEN, und bringe meine Empörung angesichts solcher Situationen mitten im 21. Jahrhundert zum Ausdruck, die mit dem Tod und dem Leiden nicht nur des drei Tage lang verängstigten Tieres, das letztlich seinen Verletzungen erlegen ist, sondern auch seiner Familie enden.
Um dies zum Ausdruck zu bringen, erfolgt diese Beschwerde.
Hinweise zum Unterzeichnen der Petition:
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DANKE FÜR EURE MITHILFE!
Siehe auch: Ein Tod, der hätte vermeiden werden können