13th Dezember 2013

Salamanca, Heimat der “wilden” Stiere

Diese Geschichte handelt von nahen Begegnungen zwischen Mensch und Kampfstier. Allerdings nicht in einer Stierkampfarena, sondern zufällige Treffen, die in freier Natur stattfanden.

Allgemein wird angenommen, dass diese Tiere außerordentlich angriffslustig sind. Das Gegenteil ist der Fall. Es sind Fluchttiere und Pflanzenfresser. Sie würden nur angreifen, sähen sie keinen anderen Ausweg mehr. Solange sie sich nicht bedroht sehen, solange man nicht ihren vitalen Bereich unterschreitet, stellen sie keine Gefahr für niemanden dar.

Auch sind sie laut Experten wie der Biologe Jordi Portabella keine Rasse, sondern es handelt sich bei ihnen um Kreuzungen die zu keiner bestimmten Rasse gehören und nur um einen Begriff festzulegen, der standardisierend ist für Tiere verschiedener zum Bos Taurus gehörenden Pseudorassen, wissenschaftlich nicht bestimmbar, die eine natürliche Aggressivität zeigen, werden sie provoziert oder angegriffen. Diese Exemplare werden dann zur Weiterzucht verwendet. Jedes Kalb, das geboren wird, wird früh getestet, in der sogenannten tienta, ob es genug Mut, Kraft und casta (Rasse) hat, um in einer Stierkampfarena zu landen. Wenn nicht, kommt es zum Schlachter. Für die die Kampfstierzüchter dann auch noch Prämien erhalten, da sie diese Stiere als Fleischrinder angeben dürfen. Mit Wohlwollen der spanischen Regierung.

Besonderes Augenmerk wird auf die Kühe gerichtet, denn laut Kampfstierzüchter geben diese ihren Sprösslingen die Aggressivität, die alle Mütter in sich tragen, wenn es um die Verteidigung ihrer Nachkommen geht, in sich haben, weiter.

Doch die Angriffslust dieser Tiere ist eine Legende. Sie sind nicht weniger und nicht mehr gefährlich als normale Rinder. Durch diese künstliche Auslese werden Tiere, die etwas mehr Aggressivität in sich haben, ausgesondert und zur Zucht benutzt. Genau wie unter den Menschen und anderen Lebewesen gibt es Exemplare, die angriffslustiger sind als andere.

Würden diese „Kampf“stiere diese Aggressivität in ihren Genen tragen, müssten die Kampfstierzüchter nicht jedes Kalb erst einmal testen, ob es zu einem echten Kampfstier taugt oder nicht. Daher kann hier auch nicht von einer Rasse die Rede sein, von der die Stierkampfanhänger das Aussterben derselben heraufbeschwören, sollten die Stierkämpfe verboten werden. Es gibt keine solche Rasse. Und deshalb kann sie auch nicht aussterben.

Nachstehend die Worte meiner lieben Freundin Mercedes Herrera Cano, Lehrstuhl für Anthropologie an der Universität Valladolid in der Autonomie Castilla und León, Heimat der „wilden“ Stiere.

Ich habe sehr oft Stiere auf den dehesas (weite Weiden)gesehen, als ich während 8 Jahren die Gemeinde von La Alberca in Salamanca studierte und dreimal die Woche hin und herfuhr, um dort zu unterrichten.

Es gibt dort unendlich viele dehesas links und rechts der Straße. Plötzlich, in einer kalten Winternacht, hatte sich ein Stier mitten auf die Fahrbahn gesetzt. Er war wohl unter einem Weidenzaun hindurch gerutscht und befand sich nun außerhalb der Weide. Ich stieg aus und näherte mich ihm, ich versuchte ihn wieder hoch zu bekommen, stemmte mich gegen ihn, aber vergeblich.

Anmerkung: Mercedes ist ca. 1,50m groß und wiegt etwa 45 kg. Allein die Vorstellung wie diese zarte Person versuchte, den sitzenden Stier auf seine vier Beine zu stellen, mutet geradezu rührend an.

Ich wollte verhindern, dass er von einem heranfahrenden Auto an- oder überfahren werden könnte. Deshalb stieß ich ihn immer und immer wieder an. Und obwohl ich das mit all meinen Kräften tat, tat er mir absolut nichts. Leider schaffte ich es nicht, ihn zum Aufstehen zu bewegen, deshalb musste ich unverrichteter Dinge davonfahren.

Als meine Tochter ungefähr vier Jahre alt war, fuhren wir mit meinen Eltern und meinem Neffen, der sieben Monate älter als meine Tochter war, zu einem Klienten meines Vater, von Beruf Anwalt, der Kampfstierzüchter war. Auf der Zucht befand sich eine kleinere Weide mit einigen Kühen und Stieren darin. Eine Kuh hatte gerade ein Kälbchen auf die Welt gebracht. In einem Moment der Unachtsamkeit, schlüpfte meine Tochter zwischen den Balken des Zauns hindurch und lief fröhlich auf die Mutterkuh zu. Den Kampfstierzüchter traf fast der Schlag. Er wollte unbedingt verhindern, dass ich meine Tochter da herausholen wollte. Er sagte, dass es sich um ein Kind handelt und es könnte sein, dass die Stiere ihr nichts tun, aber einem Erwachsenen schon.
Doch die Stiere hatten einen Kreis um die Mutterkuh, das Kälbchen und meine Tochter geschlossen. Ich befürchtete, dass sie sie ohne es zu wollen, erdrücken könnten. Und so, ohne noch eine Minute länger zu zögern, glitt ich auch zwischen den Balken hindurch, während mein kleiner Neffe aus Leibeskräften nach meiner Tochter schrie. Ich drang in den Kreis der Stiere ein, die mir ihre Hinterteile zuwendeten, die ich mit einer Hand zu trennen versuchte. Ich musste mir den Weg auf beiden Seiten öffnen, bis ich dann auf Augenhöhe den Wall ihrer Hörner durch trat. Dort, in der Mitte des Kreises befand sich meine kleine Tochter, die mit dem Kälbchen und dessen Mutter sprach. Alle sahen sie an und hörten ihr zu. Ich bin sicher, dass selbst die Stiere sprachlos waren. Ich nahm sie an der Hand und wandte mich mit ihr langsam dem Weidezaun zu. Die Stiere öffneten den Kreis um uns durchzulassen. Danach folgten sie uns. Die Prozession stellte sich folgendermaßen zusammen: Zuerst ich, mit meiner Tochter an der Hand, die an zweiter Stelle hinter mir lief, immerzu nach hinten den Stieren zugewandt und ohne aufzuhören mit ihnen zu sprechen. Uns folgten das Kälbchen, die Mutterkuh und zum Schluss die Stiere. Als ich an den Zaun kam, reichte ich meine Tochter zwischen den Balken hindurch, danach schlüpfte ich hinterher. Sie war ganz ruhig, aber der Kampfstierzüchter war der Ohnmacht nahe.
Nach diesem Erlebnis kann mir keiner mehr weismachen, dass diese Stiere von Natur aus angriffslustig sind. Eine frischgebackene Mutterkuh und ihre gesamte Herde taten einem kleinen Lausemädchen und ihrer Mutter nichts. Ich glaube einfach, dass sie annahmen, dass es zwei kleine Kinder waren, über die ihre Mütter wachten. Seit dieser Begebenheit musste ich gut auf meine Tochter aufpassen, denn jedes mal wenn sie einen Stier sah, rannte sie zu ihm hin um ihn zu umarmen. Je größer und schwärzer er war, desto mehr fühlte sie sich von ihm angezogen. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass meine Verteidigungsrede über die Gutmütigkeit dieser Art von Rindern bei dem Kampfstierzüchter auf taube Ohren stieß.

Mercedes Cano Herrera, Lehrstuhl für Soziale Anthropologie an der Universität von Valladolid
Repräsentantin des Great Ape Project (GAP) in Valladolid http://de.wikipedia.org/wiki/Great_Ape_Project

http://de.wikipedia.org/wiki/Great_Ape_Project

Diese Begebenheit ist nun schon lange Jahre her, doch immer wieder tauchen solche Geschichten zwischen den „gefährlichen“ Kampfstieren und dem Menschen auf und legen Zeugnis ab, wie diese Rinder wirklich sind: sanft und gutmütig.
Sie greifen nur an, wenn sie sich bedroht und in die Enge getrieben fühlen, doch die erste Regung ist immer die Flucht, wie man unweigerlich in allen Stierkampfarenen der Welt ersehen kann.

Die Stiere stürmen hinaus in die sonnengleissende Arena, weil sie dort nach mehreren Stunden in dunklen Stierzwingern ihre Heimat, die weiten dehesas ihrer Kindheit und Jugend vermuten. Bleiben aber dann erschrocken und verwundert stehen, weil sie sich auf einmal einer grölenden und johlenden Menschenmenge gegenübersehen. Danach suchen sie die Stelle durch die sie hereingekommen sind, die man natürlich bereits wohlweislich verschlossen hat. So gehen die Stiere langsam die barrera ab, um irgendwie ein Schlupfloch zu finden, durch das sie diesen Menschen entkommen können, um da irgendwie wieder herauszukommen.

Früher waren die Stierkampfarenen rechteckig, dann aber entschied man sich für runde Arenen, da sich die Stiere in den Ecken verschanzten. Manchmal geschieht es, dass Stiere über die schützende Holzwand hinein ins Publikum springen. Die Menschen meinen dann, das sei ein besonders gefährlicher Stier, weil er gleich alle sich dort befindenden Menschen angreifen will. Das Gegenteil ist der Fall: Die Stiere versuchen ihr Heil in der Flucht, wollen nur weg von diesem lauten Ort, der nach Tod riecht.
Die Helfershelfer der toreros (Schlächter) wedeln so lange mit ihren capas umher, bis sie endlich die Aufmerksamkeit der Stiere haben, die dann so von der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit abgelenkt werden. Sie werden gereizt, die Stiere sehen sich eingekreist, d.h., es muss um ihr Leben gekämpft werden.
Entweder der oder ich. Einen Fluchtweg gibt es nicht, daher haben die Stiere keine andere Wahl als sich denen, die ihnen Schmerzen zufügen, entgegenzustellen. Wer bei diesen Begegnungen der Stiere mit dem Menschen gewinnt, weiß jeder nur zu gut. Kultur nennt man das. Tradition nennt man das. Kunst nennt man das.

Auszug aus dem Buch:

Wenn der Himmel die Augen verschließt – Die Hölle der Tiere unter Spaniens blutiger Sonne von Caroline Waggershauser

Freitag, Dezember 13th, 2013, 21:05 | Allgemein, STIERKAMPF | kommentieren | Trackback

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