Wegen einer spektakulären anti-Stierkampf Aktion in Rion-des-Landes am 24 August 2013, musste sich Jean-Pierre Garrigues, der 1. Vorsitzende der französichen Anti-Stierkampf-Organisation CRAC Europe, am Montag den 24 März vor dem Gericht in Dax verantworten.
GERICHTSVERHANDLUNG GEGEN STIERKAMPFGEGNER IN DAX, FRANKREICH, den 24. März 2014
Drei Tierschutzvereine werden angeklagt
Eine deutsche Stierschützerin erzählt
Seit über 40 Jahren lebe ich als gebürtige Deutsche im Südwesten Frankreichs, genauer gesagt, im Baskenland an der Biskaya, in der Städtegemeinschaft Biarritz-Anglet-Bayonne, dreißig Kilometer nördlich der spanischen Grenze. Nach meiner Ankunft in den sechziger Jahren erfuhr ich sehr schnell von grausamen Verhaltensweisen gegenüber Tieren. Ich hörte von abendlichen Partys, wo man gern Drosseln, an Spießen aufgereiht, grillte. Ebenso werden alljährlich Wandertauben bei ihrem Flug nach dem Süden an den Pyrenäenpässen zu Tausenden mit Netzen abgefangen und als Vogelleichen in Supermärkten zum Verkauf angeboten, um dann, auf Feinschmeckerart zubereitet, am Sonntag auf dem Teller der Feinschmecker zu landen. Eine andere Tradition im ländlichen Baskenland: man band einer Ente eine Schnur um den Hals, man zog daran in entgegengesetzter Richtung, und wer die Ente auf seine Seite zog, durfte sie behalten und dem Kraftakt das kulinarische Vergnügen folgen lassen. Inzwischen war sie natürlich mit zugeschnürtem Hals erstickt. Jetzt geht es etwas humaner zu, dasselbe Ziehsportereignis geht mit einer vorher getöteten Ente vonstatten.
Meine erste Corrida – und sogleich die letzte
Die Corrida, den Stierkampf, entdeckte ich 1962 in Orthez, im Béarn, dem östlichen Teil vom Departement der Atlantischen Pyrenäen. Mir bot sich ein Schauspiel von unfassbarer Grausamkeit. Sechs Stiere kamen, einer nach dem anderen, im Abstand von 20 Minuten, in die Arena. Jeder Stier musste zwanzig unvorstellbar qualvolle Folterminuten über sich ergehen lassen. Für jeden gab es dieselbe Behandlung: Zwanzig Minuten lang wurde er mit Spießen, Harpunen, – den buntgeschmückten Banderillas -, und schließlich vom Torero mit mehreren Degenstichen gnadenlos durchbohrt. Der Rücken blutüberströmt, vor Schmerz brüllend, spuckten sie zum Schluss literweise Blut, während ihnen der Degen immer wieder durch den Körper gestoßen wurde, bis sie endlich auf die Knie sanken und am Boden lagen. Ich war fassungslos. Schließlich stach man ihnen mit einem Dolch in den Nacken, was sie lähmte, aber nicht unbedingt tötete. Von Pferden gezogen wurden sie dann, gegebenenfalls noch lebendig, aus der Arena geschleift und ab ins Schlachthaus! Das Schreien und Brüllen der Zuschauer hielt ich infolge meiner Unkenntnis dieses Spektakels und ungenügender Kenntnis der französischen Sprache für Protestschreie, ich dachte, etwas ist schief gegangen, aus dem Ruder gelaufen, aber nein, später erfuhr ich, es war Beifall-brüllen, es waren Freudenschreie, Aufforderungen zu weiteren Grausamkeiten, denn je grausamer das Spektakel desto fröhlicher das Grölen der Zuschauer. Sechs im Foltern erfahrene Männer, mit genauer Stierkenntnis, zusätzlich ausgestattet mit einer Reihe von Folter- und Mordwerkzeugen, gegenüber einem unerfahrenen und wehrlosen Stier, der nur eines im Sinn hatte: raus aus dieser runden Hölle, zurück auf die Weiden Andalusiens. Die Kombination von Feigheit und Grausamkeit dieser Folter- und Mordakteure war kaum zu überbieten, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wie der Stierkampf nach Frankreich kam und dort Fuss fasste und wie Bürgerrechte zertrampelt werden
Die Corrida wurde aus Spanien im Jahre 1853 durch eine Spanierin, nämlich die Frau Napoleons III., in Bayonne eingeführt. Ungeachtet des bestehenden Tierschutzgesetzes (loi Grammont 1851) wurde dieses Spektakel ein ganzes Jahrhundert lang im Süden Frankreichs illegal durchgeführt, schließlich 1951 durch eine geographische und traditionsbezogene Ausnahmeregelung legalisiert, sodann im Jahre 2011 unter der Sarkozy-Regierung, unter dubiosen Umständen, auf die Inventarliste der Immateriellen Französischen Kulturgüter aufgenommen. Diese empörende Tatsache ändert nichts daran, dass der Stierkampf weiterhin auf 90% des französischen Bodens illegal ist, wo er als schwere Misshandlung und Grausamkeit an Tieren mit bis zu 2 Jahren Gefängnis und 30.000 € bestraft wird (Artikel 521.1 des französischen Strafrechts). Somit wurde ein rechtsfreier Raum in 11 Departements Südfrankreichs geschaffen.
Unter der Regierung Hollande gibt es nun mehrere Pro-Corrida-Minister, von denen Manuel Valls, spanischer Herkunft und leidenschaftlicher Corridaanhänger (Aficionado) schon in seiner Funktion als Innenminister dafür sorgte, dass die Gegner dieser Barbarei bei ihren Anti-Corrida-Demonstrationen möglichst brutal behandelt werden. Anfang April wurde er von Francois Hollande zum Premier Ministre ernannt. Die Folgen für Stiere und Stierschützer sind noch nicht abzusehen. Zudem haben die Bürgermeister des Verbandes französischer Stierkampfstädte (UVTF, Union des villes taurines françaises) im Jahre 2011, bei ihrer Hauptversammlung den Beschluss gefasst, dass während der Stierkämpfe Demonstranten zu den Arenen einen Mindestabstand von 500 Metern wahren müssen. Manche Stadtratsbeschlüsse sind noch strenger ausgefallen: die Stadt Bayonne hat 2013 zusätzlich Flyerverteilungen verboten und die Stadt Captieux, ebenfalls 2013, schlicht und einfach jegliche Demonstration komplett untersagt. Freie Meinungsäusserung, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sind den Aficionados hinderlich, diese grundsätzlichen Bürgerrechte werden deshalb so weit wie möglich eingeschränkt. Die von Tierschützern immer wieder geforderte Volksabstimmung wird nicht zugelassen. In der Nationalversammlung wurden schon mehrere Gesetzesvorlagen zur Abschaffung dieser Ausnahmeregelung eingereicht, werden aber regelmäßig durch eine Minderheit von 40 Aficionado-Abgeordneten blockiert. Seit Anfang des Jahres fordern eben diese Abgeordneten, die sich zu einer Stierkampfstudiengruppe in der Nationalversammlung zusammengeschlossen haben (groupe d’études tauromachie à l’Assemblée Nationale), sogar die Auflösung des CRAC Europe (Comité Radicalement Anti-Corrida), eines sehr aktiven und erfolgreichen Anti-Corrida-Vereins und deshalb für die Folteramateure äußerst hinderlich. Gewalt und Grausamkeit gegen Tiere führen unweigerlich zu Gewalt und Grausamkeit gegen Menschen, und deshalb landen jedes Mal nach einer friedlichen Protestkundgebung eine Reihe von Demonstranten mit Blutergüssen, Schwellungen, Zerrungen, Verrenkungen, Knochenbrüchen… in der Notaufnahme vom nächsten Krankenhaus. Bei einem “Sit-in“ am 24. August 2013 in Rion-des-Landes wurde ein Aktivist von einem Aficionado dermaßen brutal zusammengeschlagen, dass er mit einer Gehirnerschütterung per Hubschrauber in ein Krankenhaus in Bordeaux eingeliefert und in ein künstliches Koma versetzt werden musste. Gendarmen (Polizeisoldaten) misshandelten mehrere Aktivisten ebenfalls so brutal, dass sie in Ohnmacht fielen. In den Zeitungen war dann zu lesen, es habe wieder viel Gewalt gegeben, und man lässt vermuten, natürlich von Seiten der Corridagegner, die jedoch in Wirklichkeit, in der Mitte der Arena aneinander gekettet, der Brutalität und Grausamkeit der Corridaanhänger, freiwillig wehrlos, ausgeliefert waren. Tote Stiere, verletzte Aktivisten auf der einen Seite, aber auf Aficionadoseite gab es keinen einzigen Kratzer.
Schon am 8. Oktober 2011 waren 65 in der Arenamitte von Rodilhan (bei Nîmes) aneinander gekettete Demonstranten grausam gelyncht worden, es gab 75 schwere Verletzungen, die Täter sind alle identifiziert, aber zum Prozess kam es bis heute, zweieinhalb Jahre danach, immer noch nicht. Verhindert wird der überfällige Prozess durch den Senator-Bürgermeister und überzeugten Aficionado von Nîmes, Jean-Paul Fournier. Die Abschaffung der Demokratie zugunsten einer Aficionado-Diktatur ist im Gang.
Von Sadisten und degenerierten Eltern und wie es zum Gerichtsverfahren kam
Bei der Anti-Corrida-Aktion im August 2013 in Rion-des-Landes, Südwestfrankreich, bezeichnete Jean-Pierre Garrigues, Vorsitzender des Anti-Corrida-Vereins CRAC, die Zuschauer als „Sadisten“, „Barbaren“ und „Perverse“. Laut Duden ist ein Sadist „1. jemand, der sich durch Quälen anderer sexuell zu befriedigen sucht, 2. jemand, der Freude daran hat, andere zu quälen“. Und Sadismus definiert der Duden als „a. Variante des sexuellen Erlebens, bei der Lust durch Quälen des Sexualpartners, der Sexualpartnerin entsteht, b. Lust am Quälen, an Grausamkeiten.“ Das französische Strafrechtbuch bezeichnet den Stierkampf im Artikel 521-1 als „schwere Misshandlung und Grausamkeit an Tieren“. Somit sind Zuschauer eines Stierkampfes laut Gesetz Zuschauer eines Schauspiels von Grausamkeit an Tieren, und weil sie Freude daran haben, sind sie Sadisten. Und wenn sie sexuelle Freude daran haben, sind sie noch dazu pervers. Der Corridaorganisator und Direktor der Arena von Nîmes, Simon Casas, hat z.B. gesagt: “Einen jungen Torero triumphieren zu sehen macht mich geil, das ist unbezahlbar.“ Demnach ist es keine Beleidigung, sie Sadisten und Perverse zu nennen sondern lediglich eine Feststellung.
Die Eltern, die ihre kleinen Kinder zu dieser Horrorschau mitnahmen, bezeichnete er als “degenerierte Eltern“. Mit anderen Worten, sie sind dekadent, d.h. laut Duden „kulturell im Verfall begriffen“. Für diese Aussagen haben Zuschauer und der lokale Stierkampfclub Klage wegen öffentlicher Beleidigung eingereicht. Darüber hinaus wird den Vereinen CRAC Europe, Fondation Brigitte Bardot und Animaux en Péril sowie ihren Vertretern Jean-Pierre Garrigues, Christophe Marie und Jean-Marc Montegnies vorgeworfen, die Toreros bei ihrer Arbeit gehindert, illegal demonstriert und das Leben dritter durch Verwendung von Nebelkerzen gefährdet zu haben.
Die Gerichtsverhandlung in der Stierkampfhochburg Dax
Die Verhandlung fand am 24. März in Dax statt. Eine erste Sitzung war für 9 Uhr und die zweite für 13 Uhr 30 anberaumt. Für mich hieß das, Abfahrt von Bayonne um 8 Uhr 15, Ankunft am Justizgebäude in Dax um Punkt 9 Uhr.
Erste Überraschung: Der Zutritt wurde mir verweigert. Obwohl die Verhandlung öffentlich war, hatte die Polizei die Anweisung, nur die Rechtsanwälte und Angeklagten durch zu lassen. Ein erster Justizbeamter wurde gerufen damit er das illegale Zutrittsverbot feststellt, aber er hat sich geweigert. Ein zweiter hat akzeptiert, und durch sein Eingreifen haben die Polizisten schließlich fünfzehn Personen unter den Stierkampfgegnern Einlass gewährt, obwohl der Gerichtssaal eine Kapazität von fünfzig Plätzen hat. Ich gehörte leider nicht zu den fünfzehn Aktivisten und musste draußen im Regen bleiben.
Zweite Überraschung: Vor dem Gerichtsgebäude war eine große Anzahl von Polizeiwagen aufgefahren, davon 15 Wagen der „CRS“ genannten Spezialeinheit der Polizei (Compagnies républicaines de sécurité). Ich fragte die CRS-Polizisten, ob sie wüssten, warum sie da seien und ob ein gefährlicher Terrorist oder Massenmörder im Gerichtshof sei. Sie wussten nicht, warum sie da seien, antworteten sie mir. Die Rue des Fusillés (Straße der Erschossenen), wo sich das Gerichtsgebäude befindet, war mit Barrieren von beiden Seiten abgesperrt, ebenso die dem Gerichtsgebäude gegenüberliegende enge Nebenstraße. Wir hörten, es gäbe ein Aufgebot von 300 Polizisten, für anfangs 100 Demonstranten – also drei Polizisten für einen Anti-Corrida-Protestler -, die sich dann aber infolge des kalten und regnerischen Wetters im Laufe des Nachmittags auf knapp 60 reduzierten.
Wir umgingen das Häuserquadrat, um von der anderen Seite durch besagte enge Seitenstraße zum Gerichtsgebäude, Rue des Fusillés, zu kommen, und an der von CRS-Polizisten abgesperrten engen Straßenmündung lag es genau uns gegenüber. Vom letzten Stockwerk aus wurden wir gefilmt mitsamt unseren Plakaten mit den angeprangerten Aufschriften, über die im Gerichtssaal als Anklagepunkt wegen öffentlicher Beleidigung gerade verhandelt wurde. Die Wörter „pervers“, „tortionnaires“, „dégénérés“ waren auf vielen Plakaten zu lesen. Ich selber trug eine Banderole mit der Aufschrift „Sadiques“.
Die Stadt Dax hatte uns Demonstranten wohlweislich hinter den Barrieren am Ende der engen Seitenstraße isoliert, unsichtbar für den Rest der Welt. Zwei Meter vor uns, auf der anderen Seite der Barrieren, standen zu unserer Überwachung etwa 15 Polizisten der Spezialeinheit CRS in Anti-Terror-Schutzausrüstung, die generell nur bei Verbrechern und in besonders gefährlichen Situationen eingesetzt werden. Ganz offensichtlich und gezielt wurden wir als staatsfeindliche und staatsgefährliche Elemente behandelt. Auf Aficionado- und Innenministerseite heißt es dementsprechend, wir seien intolerante Anti-Demokraten, Extremisten und Terroristen, und man geht bei „Überraschungs“-demonstrationen, d.h. unangemeldeten Demonstrationen entsprechend brutal gegen uns vor.
Das Urteil
Inzwischen war unsere Gruppe auf etwa 50 Protestler zusammengeschrumpft, es regnete und es war kalt. Gegen 16 Uhr schließlich trat der Rechtsanwalt der Brigitte Bardot-Stiftung vor das Gerichtsgebäude, mit zwei Fingern zum V für Victoire erhoben. Die Aficionados waren offensichtlich mit ihren unsinnigen Forderungen nicht so durchgekommen wie sie es sich vorgestellt hatten. Die erste Gerichtsverhandlung gegen die drei Tierschutzvereine musste auf September 2014 verschoben werden, weil eine prioritäre Verfassungsfrage (question prioritaire de constitutionnalité) bzgl. der Definition im Strafrecht des Begriffes „Demonstration“ in Paris eingereicht worden war. Bei der zweiten Gerichtsverhandlung gab der Vorsitzende kund, Jean-Pierre Garrigues sei schuldig, hat ihn jedoch zu nur 300€ Geldstrafe und 50€ Schadensersatz für jeden der 12 Kläger verurteilt. Die Kläger waren empört über die niedrige Summe des von ihnen geforderten Schadenersatzes. Zugegeben, die Summe ist gering, aber dieses Urteil ist vom Prinzip her inakzeptabel. Deshalb wird CRAC Europe Berufung einlegen.
Der Kampf für die Abschaffung geht weiter
Der Kampf gegen Folter, Mord und unvorstellbares Leiden der Stiere, der Kampf gegen den Stierkampfterror geht bis zur endgültigen Abschaffung dieser Barbarei weiter. Bis dahin jedoch werden sich Anti-Corrida-Aktivisten weiterhin staatlicher Gewalttätigkeit aussetzen und ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Die Diktatur wird sich verstärken, Schikanen und Willkür werden sich verschlimmern. Ausdauer und Geduld, Mut und Opferwille werden noch mehr gefordert sein, denn kaum 2 Wochen nach dem Ereignis in Dax wurde der Stierfolterinnenminister Manuel Valls zum Premierminister ernannt. Das bedeutet Leiden und Tod für noch unzählige Stiere, das bedeutet vermehrte Gefahr für Tier- und Stierschützer, und das Ende dieser Greueldiktatur ist unter diesen Umständen noch nicht in Sicht. Es sei denn, dieser Kampf wird zum europäischen Bürgeranliegen und Tierschützer, die wie alle Europäer über das europäische Agrarministerium gezwungenermaßen, ungewollt und meistens ohne ihr Wissen diese Greuel mitfinanzieren, mobilisieren sich und kommen den zum Vergnügen gequälten Stieren zur Hilfe.
Roswitha Marcuzzi